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313

313

Titel: 313 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Tewaag
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Kerl, da können sich ’ne Menge Leute was von abschneiden. Der ist einer der wenigen Leute, die nicht rumheulen, ein ganz stabiler Kerl, mit ’nem super Herz.«
    Ich lieg auf dem Bett und kann nicht mehr vor Lachen: Der Dragan, der immer sagt, ich soll nicht mit so vielen Leuten reden, gibt sein erstes ausführliches Fernsehinterview.
    Das meiste davon interessiert die Fernsehleute allerdings überhaupt nicht. Sie fragen ihn immer nur, ob ich nachts nicht doch in der Zelle weine, ob ich nicht doch Sonderrechte habe und ob die Gefangenen mich anfassen.
    Ich so zu Dragan: »Wie, anfassen?«
    Und er: »Ja anfassen, ficken, was weiß ich, Oli. Das sind so doofe Menschen. Ist das immer so?«
    Und ich sag: »Dragan, das ist Fernsehen, die sind so.«
    Eine halbe Stunde später kommt die Sendung im Fernsehen, und wir schauen uns auf Dragans Zelle an, was sie aus seinem Interview gemacht haben. Da klopft es schon an der Tür und jemand fragt, ob Dragan weiß, dass er gerade im Fernsehen ist. Dabei läuft die Kiste im Knast sowieso rund um die Uhr. Aber dann wird der Beitrag auch noch abends, nachts und am nächsten Tag wiederholt. Dragan muss aus der Glotze praktisch in jede Zelle mindestens einmal reingeguckt haben. Es wird eine Riesennummer aus der Sache. Wildfremde Leuten quatschen Dragan auf dem Hof an und bitten ihn, ob er für sie noch mal die Stelle nachsprechen kann, als die Redakteurin fragt, wie das sei mit der Hierarchie im Knast, und wie er darauf antwortet: »Hierarchie? Was soll das sein, Hierarchie? Hast du Schnupfen, oder was? Im Knast gibt’s keine Hierarchie. Wir werden hier resozialisiert.«
    Kurze Zeit später ist auf den Gängen offenbar rum, dass es für das Interview massiv Geld gegeben hat. Es gibt Gerede. Jemand klaut meinen Haftausweis, auf dem mein Name neben meinem Foto steht. Ein paar Idioten glauben offenbar, dass man an mir was verdienen kann. Zwei dieser Idioten versuchen von ihrem Freigang Fotohandys mit in die Anstalt zu schmuggeln, wahrscheinlich weil sie Bilder von mir an die Presse verkaufen wollen. Sie werden erwischt und: Bunker. Abschuss. Jedes Kind weiß, dass Kameras im Knast verboten sind. Diese Vollpfosten. Selber schuld. Aber wie ich höre, sehen das meine Kollegen, mit denen ich jeden Tag in der Schlange bei der Zählung stehen muss, nicht so. Die sehen komischerweise nur, der eine wird berühmt, die anderen werden abgeschossen, und das finden die ungerecht. Alles nur wegen dieses einen Scheißartikels. Aber mit einem Mal liegt so ’ne Unruhe in der Luft, und das ist genau das, worauf Leute wie dieser Direktor keinen Bock haben, Unruhe.

5
    Es ist Sonntag und wirklich schweinekalt. Ich steh an der gelben Linie im Innenhof, zusammen mit zwanzig anderen Kollegen, wir warten auf unseren Besuch. Keine fünfzig Meter vor uns wird sich gleich die Panzerglastür der Personenschleuse öffnen. Aber wir dürfen unseren Angehörigen nicht entgegengehen. Wir müssen an der Linie stehen bleiben, als seien wir irgendein Empfangskomitee.
    Zum ersten Mal kommt mich meine Süße besuchen. Ich freu mich so wahnsinnig, dass ich fast in Ohnmacht falle. Besuch ist so was Großes im Knast, das kann sich eine Person von draußen gar nicht vorstellen. Den halben Tag habe ich mit Duschen verbracht und Fingernägel geschrubbt, damit ich auch gut aussehe. Danach lag ich nur noch rauchend auf meiner Zelle und hab darauf gewartet, dass endlich die Durchsage kommt.
    »Nummer 108 – Bitte fertig machen zum Besuch.«
    Seit vier Wochen haben wir jetzt eine Telefonbeziehung. Jeden Abend erzählt mir meine Maus eine Stunden lang ganz präzise, was sie draußen erlebt hat, und ich rauche die Telefonzelle voll, bis ich durch die Scheibe nicht mehr zu sehen bin und die anderen Gefangenen von draußen anklopfen, damit sie auch mal an die Reihe kommen. Im Anschluss setz ich mich in meiner Zelle an den Tisch und schreibe meiner Süßen meinen Tag auf, jedes Detail, die kompletten vierundzwanzig Stunden. Aber klar, es ist nicht dasselbe wie Zusammensein.
    Ich stehe an der Linie und zittere mit meiner Süßen in Gedanken mit, die jetzt tapfer durch die Schleuse muss. Sie kennt das ja noch gar nicht. Dieses fiese Geräusch, wenn die Türen aufgehen. Wie die Beamten sie herumkommandieren. Stehen bleiben, Abtasten, Schuhe aus. Wie sie in diesem kleinen Zimmer warten muss, wo nichts ist, kein Fenster, keine Tür, nur ein Gitter, und das geht nicht auf, und sie kann nichts machen. Ich bin damals durch dieselbe Schleuse

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