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Könntest du die Gefühle, die im Knast umgehen, in Bilder verwandeln, du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein gewalttätiger Ort wäre.
Zu dem Zeitpunkt halte ich es nicht mal für ausgeschlossen, dass ich mich in der JVA nicht doch umbringe. Vielleicht komme ich hier tatsächlich im Sack raus, weil ich mich weggemacht hab oder weil mich jemand anders weggemacht hat. Dann ist die Zelle das Letzte, was ich im Leben sehe. Das macht mich so todtraurig, dass ich jetzt wahnsinnig gerne weinen würde, um diesen inneren Druck rauszulassen, ich versuch es, aber es klappt nicht. Der absolute Tiefpunkt. So liege ich da, oben in meinem Bett, Blick zur Decke, bis es dunkel wird, und mach das alles mit mir aus, während unter mir jemand sitzt und sich aus meinem geschenkten Tabak eine Zigarette nach der anderen dreht. In meinem Kopf finden Weltkriege statt und Rettungsärzte rennen rum und verarzten mich, bis mich der nächste Schuss trifft.
8
Am nächsten Tag lässt mich der Herr Karl rufen. Ein Beamter bringt mich hin, ich weiß gar nicht, worum es geht. Herr Karl ist der Leiter von Haus A, der Oberboss, und damit die Person, die ab jetzt sozusagen über mein Schicksal bestimmt. Er sitzt in einem Büro, das dreimal so groß ist wie eine Zelle, und trägt keine Uniform, sondern Jeans und ein rosa Hemd, dass ich erst denke, er wäre vom andern Lager. Er ist gut gelaunt. Ein souveräner alter Hase, Mitte fünfzig, keine Falten, braun gebrannt, null verbittert. Er guckt mich so vatermäßig an, irgendwie von innen heraus, ich mag den sofort. Er hat noch kein Wort gesagt, aber du hast schon das Gefühl, der versteht dich. Am liebsten würd ich ihm sagen, Herr Karl, jetzt lassen Sie mich doch bitte einfach raus.
Er ganz ruhig: »Herr Stein, normalerweise entwickelt sich ein Vollzug zum Besseren hin. Bei Ihnen war das nicht der Fall.«
Ich so: »Das hab ich auch schon gemerkt.«
Er meint, er hoffe, dass wir miteinander klarkommen und ob ich irgendwas brauche, da merke ich schon, wie ich mich ihm anvertraue. Ich sag, Herr Karl, mein Leben hat sich grad sehr krass verändert, ich hab gestern die Nachricht bekommen, dass ich fast zwei Jahre länger sitzen werde, und ich hab draußen eine Freundin, der ich das erklären muss, und ich kann nicht mit ihr telefonieren, aber das wär mir im Moment das Wichtigste.
Der Karl ganz ruhig: »Kann ich absolut nachvollziehen.«
Und ich weiter: »Herr Karl, die Situation ist die, ich hab gestern weinend mit meiner Freundin telefoniert. Ihr Schlusswort war, sie packt das. Jetzt sitze ich hier und hab keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Keine Ahnung, wie das hier mit dem Telefon läuft, aber meine Freundin bedeutet mir alles, ich weiß gar nicht, ob’s überhaupt noch meine Freundin ist oder schon meine Ex, ich weiß es einfach nicht.«
Während ich ihm mein Herz ausschütte und mir dabei immer elender wird auf dem Stuhl, blättert der Karl in meiner Akte, als stehe da irgendwas Neues für ihn drin. Dann sieht er auf einmal auf und schiebt mir einfach so sein Diensttelefon über den Tisch.
»Dann rufen Sie doch jetzt mal Ihre Partnerin an.«
Ich guck den Karl an wie ein Kind. Das krieg ich nicht auf die Reihe. Erst sperren sie dich weg, und auf einmal geht so was. Aber der Karl reicht mir tatsächlich das Telefon rüber wie der Feind die Friedenspfeife. Das ist natürlich genauso Willkür wie der Kack, der vorher gelaufen ist, aber jetzt geht es wenigstens mal nicht gegen mich. Zittrig tipp ich die Nummer ein.
Ich ganz leise: »Hallo Süße? Ich bin’s.«
Da fängt sie gleich an zu weinen, kompletter Nervenzusammenbruch, und bei mir ist auch alles zu spät. Die ganze Zeit willst du nichts anderes als telefonieren, dann darfst du das, und musst sofort anfangen zu flennen. Ich sag ihr, dass ich im Geschlossenen bin. Alles gut, ich kann nicht lang sprechen, der Chef hat mir eben nur sein Telefon gegeben, also hier, in seinem Büro, wo ich grad sitze, mach dir keinen Kopf, Süße, alles gut so weit – da gibt mir der Karl auch schon ein Zeichen.
Er fragt: »Hat Ihre Freundin am Sonntag Zeit?«
Ich noch so vorsichtig: »Wieso?«
Und er: »Dann soll sie herkommen.«
Ich kapier erst gar nicht, was er meint und warum er meine Freundin sehen will, aber dann sagt er was von Blitzbesuch, und so schlägt es auch bei mir ein. Ohne genau zu wissen, wie genau das ablaufen wird, sag ich ihr, dass sie am Sonntag in die JVA kommen soll, keine Ahnung, aber der Herr Karl hier hat gerade
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