313
gekauft hab, in einem sehr guten Restaurant, während der Fußballweltmeisterschaft, und wie alle Leute lachen. Du gibst ihm so’n Zeichen über ’n paar Leute weg, und er geht mit dir runter auf die Toilette, du zahlst ihm sein Geld, ihr zieht noch ’ne Nase zusammen, und dann gehst du wieder hoch, feiern, es ist WM , und alle sind angemalt, in ganz Deutschland ist ’ne super Stimmung. Und dann hörst du, dass diese Person irgendwann von der Polizei erwischt wird. Und der legt dann die Namen auf den Tisch, wem er was verkauft hat und so, und du denkst dir: Was für ein armes Schwein. Zuerst verdient er Geld, dann verrät er seine Kunden, und dann gibt es den schwanzlosen Polizisten, der auf der Liste meinen Namen sieht und meint: Oh, wie geil ist denn das? Dann siehst du einen Richter, der die Hausdurchsuchung unterschreibt. Du siehst ’nen Polizisten, der mit der Boulevard-Zeitung telefoniert und sagt: Leute, ich hab’n Tipp für euch, Hausdurchsuchung, prominente Person, fünfhundert oder tausend Euro und ich sag euch, wann und wie. Du siehst diese ganze Kette an Ereignissen, während du vollkommen ahnungslos bist, bis um sechs Uhr morgens bei dir die Tür auffliegt und die Beamten deine ganze Wohnung zerrocken aufgrund der Tatsache, dass ein Drogendealer meinte, dass du mal bei ihm gekauft hast. Du siehst die enttäuschten Gesichter, die überhaupt nichts bei dir gefunden haben, und trotzdem wirst du vor die Tür geschleppt, weil ein Richter in kürzester Zeit beschlossen hat, dass dir ein Haartest abgenommen werden darf, weil sie eben alle so frustriert sind, und wie, als sie dich in Handschellen vor die Tür führen, auf der anderen Straßenseite jemand mit so einem Objektiv steht und dich für die Zeitung abschießt.
Ich stelle mir vor, wie all diese Leute jetzt mal das Äquivalent an Schmerz und Gewalt und Terror abkriegen, das ich mir grade einfange, wie ich aus meiner Zelle riesige Wellen von Unglück rausschicke, um da nur ansatzweise ein Äquilibrium herzustellen. Entweder sind diese Personen danach völlig pleite, oder sie haben keine Bezugsperson mehr oder halt ’nen richtig schönen Dachschaden. Das ist nämlich so die Liga, in der wir hier spielen, denke ich. In einem Moment drückt mir die Wut noch von innen gegen die Brust, im nächsten Moment fällt sie nach hinten um, und ich bin extrem hilflos, extrem angewiesen, hilfeschreiend, ängstlich. So wechselt sich das ab die ganze Zeit.
Und dann ist Sonntag, und ich warte nur noch darauf, dass ich zum Besuch gerufen werde. Ich weiß ja gar nicht, ob sie kommt oder ob der Herr Karl sich wirklich gekümmert hat. Es gibt Leute, die gehen davon aus, dass einer für sie kommt, und dann werden sie nicht gerufen. Meine Süße hatte ja gedacht, sie würde mich im Freigang sehen, stattdessen sieht sie mich jetzt im Geschlossenen. Ich bin so aufgeregt, dagegen ist ein Konzert vor zehntausend Menschen ein Kindergeburtstag. Fünf Leute werden von unserer Station über die Durchsage geholt. Ich bin dabei.
»Häftling 313. Fertigmachen zum Besuch.«
Auf der Zentrale müssen wir alles abgeben, was wir bei uns tragen, Zigaretten, Feuerzeuge, alles. Ein Beamter piepst uns ab und legt das Zeug in blaue Plastikboxen. Du gehst ohne einen persönlichen Gegenstand zum Besuch. Ich hab mich rasiert, Haare gemacht, geguckt, ob mit den Augenbrauen alles passt, die feine graue Hose angezogen und den Pulli mit dem V-Ausschnitt. Ich komm mir lächerlich vor, aber natürlich versuchst du selbst unter den beschissensten Bedingungen irgendwie noch gut auszusehen.
Wir werden runter in den Keller gebracht, es öffnet sich eine Stahltür, und dahinter liegt, schwierig zu beschreiben, fast eine Art Amtsstube mit vergitterten Fenstern und sehr vielen Tischen. Wieder dieses Kacklinoleum, wieder so ein krass ausgeleuchteter Raum, diese Mischung, die zieht einen runter. Hier gibt es nun auch noch ’ne Spielecke für Kinder, bemalt mit einer Sonnenblume und einem Elefanten, davor stehen ein paar Schaukelpferde und eine Ritterburg im Neonlicht. Eine Kulisse wie aus einem Monty-Python-Film, wenn es nicht so total ernst wäre.
Wir setzen uns jeder an einen Tisch, zwei komische Beamte gucken uns dabei zu, wie wir warten, da klackern hinter dieser Stahltür auf einmal High Heels eine Treppe runter, klack klack klack. Ich hör, wie sich Leute unterhalten. Allein die Geräusche klingen schon ganz anders als bei uns. Da kommen Menschen aus dem Leben in diesen Keller, wie eine
Weitere Kostenlose Bücher