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gesagt, das geht. Er kümmert sich drum. Sie soll nur kommen, und dann muss ich auflegen.
Ich gebe das Telefon zurück, und der Rotz läuft mir aus der Nase. Die Gefühle liegen total blank, das sieht der Karl sofort. Ich sag mir, Alter, flenn doch vor dem nicht so rum, du willst doch einen ganz anderen Eindruck hinterlassen. Der Karl denkt wahrscheinlich, ach du Scheiße, schickt mir bloß die Alte vorbei, bevor mir der Typ abgeht. Aber er lässt sich nichts anmerken, der alte Hase. Eigentlich ist mir danach, ihm über den Schreibtisch um den Hals zu fallen, der erste Beamte, der kein Arschloch ist, aber er hat schon genug von meiner menschlichen Seite gesehen.
Von da an warte ich nur noch auf den Besuch und taumle so durch den Knastalltag. 6 Uhr 30 Wecken, der Beamte reißt die Tür auf. 6 Uhr 45 Frühstück, alle stellen sich im Gang zur Essenausgabe an. 11 Uhr 30 Mittag, dasselbe nochmal. Dazwischen Warten auf das Mittagessen, danach Warten auf 16 Uhr 30, Postausgabe. Nach zwei Tagen kriege ich den ersten Brief.
Jeden Tag schreibe ich mindestens vier Stunden lang an meine Süße, kein Brief unter sechs Seiten, meine Hand ist so verkrampft, dass ich schon bald eine Schreibmaschine beantrage. Ich beschreib wirklich alles, was passiert. Das lenkt mich super ab. Wenn ich schreibe, bin ich nicht mehr im Knast, dann schreibe ich nur drüber, aber ich bin nicht mehr Teil davon, und trotzdem lass ich sie echt eins zu eins Anteil haben, obwohl ich weiß, dass jeder Brief gelesen wird, vollkommen klar, du darfst den gar nicht zukleben. Wenn du ihn einwirfst, muss er offen sein.
Irgendwann kann ich in der Kammer die Sachen aus meiner alten Zellen abholen, zumindest, was mir davon genehmigt wurde: Fernseher, Stereoanlage, Haarschneider. Sie schmeißen alles in so ein klappriges Einkaufskörbchen und damit dackel ich auf meine Zelle zurück. Schon in der Tür erkennt der Franz, dass sich die Lage für ihn jetzt schlagartig verbessern wird.
Er: »Wir sind saniert, Alter! Ein Fernseher! Jetzt passt’s!«
Aber ich ganz müde: »Ich weiß nicht, ob das passt.«
Er: »Klar doch, Alter, jetzt wird alles gut.«
Beim Frühstück fällt mir auf, dass wir Rindswurst kriegen, die ich noch vor ein paar Tagen in der Metzgerei hergestellt und eingepackt hab, ich sehe es am Etikett. Leute, sag ich in die Schlange, ihr fresst die Wurst, die ich gemacht habe. Das kommt gut an. Trotzdem verlass ich die Zelle nur, wenn ich muss. Nach dem Mittag ist eine Stunde Hofgang, den guck ich mir vom Fenster aus an. Das stresst mich sonst zu sehr. Da hast du gleich die Konfrontation mit dem ganzen Haus, zweihundert Gefangene auf einer Betonfläche. Ein paar Gefangene gehen monoton im Kreis, ein paar sitzen auf dem Boden, ein paar auf den Bänken. Rundherum Zaun, Kameras, Suchscheinwerfer und dieser rasierklingenmäßige Stacheldraht. Das bringt überhaupt keine Entspannung, das ist nur Guantanamo.
Der Regelvollzug war für mich von der Strafe her logisch, da stimmten Tat und Strafe überein. Die Nummer mit dem Geschlossenen dagegen ist völlig übers Ziel hinausgeschossen. Die empfinde ich nur als extrem hart und extrem unfair, was bei mir sowieso nicht dazu führt, dass ich zu ’ner Einsicht komme, eher dass ich ’ne Kampfhaltung einnehme. Es macht nämlich offenbar überhaupt keinen Sinn, mit den Leuten hier zu verhandeln, geschweige denn zu versuchen, in deren System klarzukommen, man sieht doch, wohin es führt. Du machst mit, du gibst dir Mühe, du hast dich ergeben – und das wird jetzt ausgenutzt. Die Polizei sagt: Legen Sie die Waffe nieder! Es passiert Ihnen nichts. Und in dem Moment, wo du das Ding ablegst, gibt’s zwei Schüsse in den Bauch, und dir wird in die Fresse geschlagen. Merke also für die Zukunft: Niemals die Waffe aus der Hand legen! Das sind natürlich alles nur Gedanken. Aber es gibt dieses chinesische oder japanische Sprichwort, wo es heißt: Fürchte dich vor deinen Gedanken, sie sind der Anfang deiner Taten.
Ich sitz in der Zelle und dreh die Musik laut, starre aus dem Fenster oder in den Fernseher, aber ich guck gar nicht mehr, was da läuft, ich hab nur noch diese Gedanken. Mein ganzer Körper hat so ’ne mordmäßige Temperatur, er läuft wie ein kleines Atomkraftwerk, dabei beweg ich mich keinen Meter, ich denke nur. Im Kopf mach ich mir ’ne Liste mit den Leuten, die in irgendeiner Art und Weise was damit zu tun haben, dass ich hier sitze. Ich sehe die Bilder von diesem Drogendealer, wie ich bei ihm Drogen
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