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313

313

Titel: 313 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Tewaag
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telefonieren darf. Wahrscheinlich müsstest du eine Geiselnahme machen, um ein Telefonat rauszuschlagen. Ich weiß nicht mal, ob ich morgen mit ihr reden kann oder übermorgen, vielleicht ist sie nach Hause zurückgefahren, vielleicht weint sie, vielleicht hat sie einen Unfall gebaut, weil sie die neuesten Entwicklungen nicht gut weggesteckt hat. Du hast keine Ahnung, du weißt nichts, wie würdest du denn von so einem Unglück erfahren? Würde irgendwann, in zwei Tagen, ein Seelsorger kommen und sagen: Hier, Zelle 313, kommen Sie mal kurz, es ist was mit Ihrer Freundin. Du weißt es nicht.
    Ich erinnere mich an das Telefonat von heute Vormittag, wo sie meinte, sie kriegt den ganzen Schlamassel mit mir schon hin, und wir schaffen es auch, die neuesten Entwicklungen zu überstehen. Ich überlege: Was habe ich zuletzt zu ihr gesagt? Irgendwas Liebes? Oder dass wir besser Schluss machen sollen? Was ist die letzte Aussage von mir, die sie im Kopf hat? Habe ich da was Richtiges gesagt oder was total Bescheuertes? Das macht doch alles keinen Sinn – hast du das gesagt, Oli? Hast du das am Anfang gesagt, oder hast du es am Ende gesagt? Was hat sie dann gesagt? In so einer Situation, in der du nicht mehr miteinander sprechen kannst, beschäftigst du dich auf einmal mit der Analyse einzelner Worte und überlegst dir, welche schwerwiegende Konsequenz das hat, weil dieses eine letzte Wort ewig hallt. Wie du dich im Knast von jemandem verabschiedest, zum Teil ist es ein Wort oder ein Satz, der hallt beim anderen Tage nach, einfach weil’s das Letzte ist, was du gesagt hast. Wahrscheinlich muss ich mich tatsächlich drauf einstellen, dass die bisher größte Liebe meines Lebens, dass die jetzt aufgrund äußerer Umstände gegessen ist, und das Schlimme ist, ich kann meiner Süßen nicht mal einen Vorwurf machen. Sie kann überhaupt nichts dafür. Wenn es einen Schuldigen gibt für diese verfickte Lage, dann bin es als Erster ich, und danach sind es die Scheißumstände.
    Auf einmal bekomme ich eine solche Wut, ich sehe mich schon zur Zentrale rennen und meine Faust in die Betonwand schlagen, und dann werde ich fixiert und in eine Beobachtungszelle gebracht. Das kommt mir absolut real vor. Aber ich sage mir, du kannst dir keinen Nervenzusammenbruch erlauben. Das geht gar nicht. Jeder sieht ihn, und du wirst weggepackt. Aber dann frage ich mich im Stillen, Leute, wann hört denn dieser ewige Ärger auf? Wann ist damit Schluss? Ist es erst gut, wenn alles in meinem Leben im Arsch ist? Ist es dann endlich gut? Seid ihr dann zufrieden und am Resozialisierungsziel angekommen? Wenn das eure Idee ist, dann ist euch das echt super geglückt, dann habt ihr jetzt einen supertollen Typen gezüchtet.
    Es ist krass, wie es mich hin und her reißt zwischen Selbstmitleid, Wut, Hass, Traurigkeit und dem Gefühl absoluter Hilflosigkeit. Diese Emotionen wechseln sich merkwürdig ab. Die eine Emotion wird zur anderen Emotion und wieder zurück. Wenn du im Straßenverkehr wärst und fast einen Autounfall gebaut hättest, weil du mal kurz geistesabwesend warst und du darum beinahe in das Auto vor dir geknallt wärst, dann holt dich der Schreck wenigstens sofort in die Realität zurück, und du sagst dir, okay, ich muss mich jetzt wieder voll konzentrieren. Aber in so einer Zelle mit einem Franz, der meistens schläft, wo die Zellentür zu ist, wo auch kein Fernseher und kein Radio drinsteht, da kann sich jeder Gedanke nicht nur eine Stunde ziehen, der kann sich ganz ohne Probleme fünfzehn Stunden durch den Tag ziehen, und er hört nicht auf. Du entkommst ihm nicht. Es kommt nichts von außen, es passiert nichts. Das Einzige, was passiert, ist, du guckst aus der Zelle und siehst, wie irgendein Hofarbeiter Kippen kehrt auf dem Hof, und eigentlich kannst du aktiv nur noch aufpassen, dass du nicht durchdrehst. Das ist das Einzige, wo du versuchst, noch gegen anzukämpfen. Du versucht nur dagegen anzukämpfen: Gib dich nicht auf, dreh nicht durch und lass auf gar keinen Fall irgendwelche destruktiven Emotionen die Oberhand gewinnen. Du kannst es dir nicht leisten, irgendeine ungute Emotion zu haben. Du hast die ganze Zeit Emotionen, aber diese Emotion darf niemals irgendwie die Oberhand gewinnen, sodass dir alles andere egal wird. Die darf in dir drin sein, aber wenn du die als Emotion in eine unüberlegte Handlung umsetzen würdest, dann würde der Knast jeden Tag aufgrund von Tausenden Häftlingen explodieren, abbrennen, es wären überall nur Tote.

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