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mal Schluss machen. Und währenddessen läuft ein Beamter die ganze Zeit zwischen den Tischen durch, an Zärtlichkeiten ist überhaupt nicht zu denken, meine Süße und ich, wir fassen uns eher so an, wie man Leute auf dem Sterbebett anfassen würde, zart, zurückhaltend, und dann ist diese Stunde auch schon vorbei.
»Noch fünf Minuten«, sagt der Beamte.
In dem Moment ist mein Selbstwertgefühl so im Arsch, dass ich zu meiner Freundin nicht mehr sage, sie soll mich in vierzehn Tagen wieder besuchen, ich sag nur, sie kann mich wiedersehen, also, wenn sie Lust hat. Was will ich sonst auch sagen? Ich fühl mich einfach nicht in der Position, mehr zu sagen. Sie küsst mich noch mal, ich fass sie noch mal an, und dann geht sie raus. Das ist alles total verstörend. Ich hab mich wahnsinnig über ihren Besuch gefreut, aber ich fühl mich irgendwie ausgetrickst.
Zehn Minuten später, auf meiner Zelle, fängt dann wieder das Gedenke an, und riesige Räder drehen sich in meinem Kopf, dass das niemals funktionieren kann, dass sie mich betrügen wird und ich überhaupt nichts dagegen machen kann, ich werde es noch nicht einmal erfahren. Ich hab nur diese Kackzelle, diese Kackgitter, den schnarchenden Franz neben mir und den Fernseher, auf dem überall die JVA -Siegel draufkleben, und innerhalb kürzester Zeit denke ich mich in so einen extrem heftigen Zustand, wie ich den nüchtern von mir noch nicht kannte.
9
Eines Nachmittags, die Zellentüren stehen auf, beobachte ich in der Zelle gegenüber einen Typen, den ich auch schon öfter im Gang gesehen habe. So alt wie ich, ein Arm komplett tätowiert, der andere frei, einsneunzig groß, einsneunzig breit. Er hat seinen Tisch hochkant an die Wand gelehnt, Zellenboden frei, und macht mit zwei so Lederhandschuhen auf den Fäusten Liegestütze. Dazu Slayer-Musik, bis zum Anschlag. Klar, dass der keine Geldstrafe ist.
»Korrekte Mucke«, brülle ich so über den Gang.
Es fühlt sich komischerweise an, wie wenn ich in ’ner Bar ’ne Frau anspreche und nicht sofort so viel von mir selber preisgeben will, sondern erst mal auf sicher was sage, wo ich schnell wieder rauskomme, wenn ich einen Korb kriege. Aber der Typ reagiert.
Er so: »Hörst ja da drüben auch ordentliche Sachen.«
Offenbar hat er mitgekriegt, dass ich meine Anlage auf Metal ein paar Mal voll aufgedreht habe. Auch was, das du nicht glauben würdest. Im Knast kannst du lauter Musik hören als zu Hause. Im Regelvollzug hätten das die Beamten nie durchgehen lassen, da wären sie dir sofort mit ’nem Eintrag in die Akte gekommen, sie hatten immer den Geschlossenen als Druckmittel, aber wenn du einmal hier bist, können sie dir nicht mehr damit drohen, und darum hört die ganze Scheiße dann auf einmal auf, alles wird viel gelassener. Der Typ von drüben beendet jetzt sein Training und stellt sich auf, ein echter Schrank, und meint, ob ich Bock hab, auf seine Zelle zu kommen.
Er gibt mir die Hand: »Ich bin der Andi.«
Ich geb ihm die Hand: »Ich bin der Oli.«
Die Zelle ist technikmäßig und von der Gemütlichkeit her High-End-Level: Flatscreenfernseher, Stereoanlage, Fotos in Bilderrahmen und vor dem Fenster so ein grüner Vorhang aus Stoff. Wir sitzen an seinem Tisch, rauchen und trinken Kaffee, den er gemacht hat, und reden über sein Motorrad, von dem er sich ein Poster übers Bett gehängt hat, nagelneue Maschine und jetzt steht sie nur noch unbenutzt rum. In meinem Kopf hallen wieder Dragans Worte, dass ich die Leute nicht gleich fragen soll, warum sie sitzen. Obwohl man das natürlich immer wissen will. Es ist sozusagen meine Lieblingsfrage. Beim Andi würd ich auf Drogenhandel tippen.
Ich versuch’s erst mal vorsichtig: »Bist du schon lange hier?«
Und er: »Nee, bin zwei Tage vor dir gekommen.«
Er kommt aus Atzleben. Ich hab noch nie mit einem gesprochen, der von da kam, immer nur von denen gehört. Atzleben ist der härteste Knast im Land. In Atzleben hast du alles, woraus Krimis sind: Raub, Entführung, Mord. Das sind Leute, die ganz klar mit Schusswaffen bis unter die Zähne bewaffnet sind und auch nicht mit der Wimper zucken, die im richtigen Moment einzusetzen. Das ist ein ganz anderer Schlag.
Ich sag so: »Wow, Atzleben, das scheint da drüben ja noch mal ’ne ganz andere Nummer zu sein.«
Sagt er: »Ja, auf jeden Fall.«
Er hat sechseinhalb Jahre bekommen, sagt mir natürlich nicht, wofür, aber jetzt hat er grad drei um. Er sagt das einfach so. Drei Jahre. Er ist jemand, der schon
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