315 - Apokalypse
umgehend.
Der Mond war verschwunden! Das hieß, nicht ganz. Wo Matt vorhin gut zwei Drittel des Erdtrabanten wahrgenommen hatte, sah er jetzt nur noch einen kleinen Ausschnitt des oberen Randes. Ansonsten wurde der riesige Bildschirm flächendeckend von Finsternis erfüllt. Das Brodeln darin schien jetzt wesentlich stärker zu sein, Matt sah zudem zehn oder mehr schwarz leuchtende »Schlangen« unablässig darin herumzucken. Er spürte Kälte über seinen gesamten Körper kriechen.
Der Streiter hatte sich wieder in Bewegung gesetzt.
Und flog direkt auf die Erde zu!
***
Im Weltraum
Seit Stunden hing das marsianische Fernraumschiff AKINA wieder nahe dem Erdmond im Raum, gerade mal einen Steinwurf vom Streiter entfernt. Auf kosmische Verhältnisse übertragen natürlich nur. Aber das interessierte den Marsianer Dexter Wang im Moment wenig. Er durchstreifte die von künstlichem kalten Licht ausgeleuchteten Gänge des riesigen stählernen Kolosses und war froh, dass er dabei nicht allein war. Und das nicht nur, weil das Licht immer wieder flackerte und das ganze Schiff von geheimnisvollen Geräuschen erfüllt war. Manchmal schien es sogar zu stöhnen.
Dexter Wang war noch nie gerne Raumfahrer gewesen. Aber jetzt verfluchte er das Schicksal, das ihn an Bord dieses Schiffes geführt hatte. Nur gegenüber sich selbst allerdings; sein Begleiter brauchte davon nichts zu wissen.
Morgan, sein seit langem toter sechsjähriger Zwillingsruder, war bei ihm!
Damit nicht auch noch Morgan von ihm ging, hatte Dexter beschlossen, seine Pillen nicht mehr zu nehmen. Das konnte er sich auch deswegen leisten, weil es die zerstörerischen Impulse, die vom Streiter ausgingen, seit gut zweieinhalb Stunden nicht mehr gab. Denn seine Psychopharmaka hatten Dexter nicht nur vor Morgans Erscheinen, sondern auch weitgehend vor der Beeinflussung durch den kosmischen Dämon geschützt.
Dexter Wang warf einen Blick in die Kabine des Kommandanten, während sich Morgan an seinen Beinen vorbei drückte. Er fühlte sich so kalt an.
»Kein schöner Anblick«, sagte der Junge, der sich mal wieder als Unfallopfer mit zermatschtem Kopf und blutigem Gesicht zeigte.
»Du bist auch kein schöner Anblick«, erwiderte Dexter und bemühte sich, Morgan nicht anzuschauen und stattdessen mit einem kurzen Blick Kommandant Asgan Pourt Tsuyoshi zu mustern. Oder das, was von ihm übrig geblieben war. Er hing, blau angelaufen, in einem Kabelstrang, der an einem Lüftungsgitter festgemacht war.
Der tote Morgan kicherte. »Überall um uns herum ist Tod und Verderben. Warum sollte ich dich in dieser wunderschönen Umgebung nicht daran erinnern, dass du für meinen Tod verantwortlich bist?«
»Es war ein Unfall «, erwiderte Dexter lahm. »Ich wollte doch nicht, dass dir unser Vater mit seinem Gleiter den Schädel zertrümmert. Bitte glaub mir das doch endlich.«
Morgan kicherte erneut. Böse und gemein. »Klingt immer noch nicht sehr überzeugend. Aber lass uns erst mal weitergehen, Dex. Wenn ich’s richtig in Erinnerung habe, sind bis auf uns zwei alle Besatzungsmitglieder tot, richtig? Ach nein, die Melody haben wir noch nicht gecheckt, stimmt’s?«
Dexter Wang nickte. »Ja. Dace Melody war zuletzt in einer Zelle, weil sie verrückt geworden ist.«
»Wie schön. Etwas, das dir, dem Roten Vater sei Dank, nicht passieren kann.«
Dexter Wang schüttelte sich vor so viel Zynismus und Bösartigkeit. Schnell ging er weiter zum Zellentrakt. Nur eine Zelle war belegt gewesen.
Es stank unerträglich. Die Geruchsfilter mussten ausgefallen sein. Dexter Wang fand, dass die einstige Navigatorin der AKINA ein wenig wie Morgan aussah. Jedenfalls über dem Hals. Sie musste sich den Schädel an den Wänden selbst zertrümmert haben. Überall gab es blutige Abdrücke in entsprechender Höhe. Und zwei, drei weiter unten. Da war sie bereits auf den Knien gewesen.
»Also, das war’s dann wohl, großer Bruder. Wir beide sind ganz alleine auf diesem wundervollen Kahn. Was sollen wir jetzt mit uns anfangen? Hast du eine Idee?«
Dexter starrte auf seinen toten Bruder hinab. »N-nein...«
Morgan grinste. »Vielleicht könntest du mir ja das kleine ABC der Raumfahrt beibringen, jetzt, wo keiner uns reinredet. Immerhin hast du ja erfolgreich verhindert, dass ich Raumfahrer werden konnte.«
Dexter Wang, der letzte wirkliche Überlebende der AKINA, schüttelte den Kopf. »Lass uns zur Zentrale zurückgehen«, murmelte er.
Auch im Herzen der AKINA flackerte das Licht. Emotionslos
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