319 - Paris - verbotene Stadt
Raum. »Prego, bellissima Giovanna.«
»Nenn mich nicht so vor den Ohren der anderen!«, zischte Jeanne ihm im Vorübergehen zu. »Sonst muss ich dich doch noch degradieren.«
Umringt von Stabsoffizieren, Spähern und Sanitätern hockten sieben Männer mit farbenprächtigen Haarkämmen und Zöpfen und in zerschlissenen Westen und Hosen am Konferenztisch – und aßen; oder besser: Sie stopften mit beiden Händen Fleisch und Kartoffeln in sich hinein. Einer sprang auf, als er Jeanne erkannte, und rief mit vollem Mund: »Die göttliche Generalin, Freunde! Nehmt gefälligst Haltung an!«
Jetzt erhoben sich auch die anderen sechs, hoben die Rechte und riefen kauend und im Chor: »Salve, Generalin Jeanne! Die Todgeweihten grüßen dich!«
So klangen Sprüche, wie sie unter den Olympics üblich waren, und hätten sie den Mund gehalten, hätten ihre Farben sie verraten: rote und grellblaue Haarkämme, rot und blau bemalte Fingernägel, Stiefel, Sonnenbrillen und Waffenkolben. Nur einer gehörte nicht zur Sippe der Olympics; er war ganz in Schwarz gekleidet, trug aber gelbe Kunststoffstiefel und gelbe Streifen im schwarzen Stoppelhaar.
Jeanne nickte. »Setzt euch, esst weiter.« Die Männer ließen sich das nicht zweimal sagen. Viele waren nicht wesentlich älter als ihr Adjutant Laurent. Auf dem Stuhl, den Rudolpho ihr an den Tisch zog, nahm auch Jeanne Platz. Die Späher ergriffen das Wort: Mit einem getarnten Floß seien die sieben die Seine herunter gekommen und im Uferwald südlich des alten Flusshafens an Land gegangen. Weitere versprengte Einheiten der Olympics aus Lyon habe man im Südwesten und noch weiter im Süden gesichtet.
Jeanne bedankte sich mit einem Nicken. »Wie viele seid ihr?«, wandte sie sich an den Sprecher der Gruppe, einen Capitaine, wie ihr die roten und blauen Winkel verrieten, die er sich mit Tiersehnen an die blaue Fransenweste gebunden hatte. Die Farben der Olympics unterschieden sich von denen der St. Germains nur durch Nuancen; ein nicht unwichtiger unter vielen Gründen, warum beide Sippen sich einander verbunden fühlten.
»Noch gut viertausend, schätze ich.« Der Capitaine stopfte sich ein Stück Fleisch zwischen die Zähne und sprach mit vollem Mund weiter. »Doch nur etwa tausend sind aufgebrochen, um Paris zu befreien. Werden nach und nach hier eintrudeln, hoffe ich. Die anderen haben sich im Süden unter General Asterix gesammelt und greifen die Deportationszüge und Arbeitslager an.«
»Er lebt noch?«, staunte Jeanne. »Asterix« war der Künstlername eines berühmten Kung-Fu-Kämpfers, der mit zwei Brigaden der ARF ein halbes Jahr lang Marseille gegen die Chinesen verteidigt hat. Marseille war gefallen und die Rebellenbrigade vernichtet.
»Und wie! Hat die Versprengten zu drei Bataillonen gesammelt. Gehen jetzt auf die verdammten Deportationszüge los und versuchen die Gefangenen aus den Lagern zu befreien.«
»Deportationen?« Rudolpho schnitt eine grimmige Miene. »Gefangenenlager?«
»Erzählt schon«, verlangte Jeanne unwillig. »Ich habe keine Lust, euch die Neuigkeiten wie Würmer einzeln aus der Nase zu ziehen.«
»Die großen Städte sollen europäerfrei werden«, erklärte einer der Olympics, dessen Teller bereits leer war. »Marseille, Bordeaux, Lyon – und jetzt Paris. Was glaubst du, warum sie Paris zur ›verbotenen Stadt‹ erklärt haben?«
Mit versteinerten Mienen lauschten Jeanne und ihre Kämpfer den Berichten der Olympics. Sie erfuhren, dass man die Einwohner von Paris nach und nach in langen Güterzügen und alten Truppengleitern zusammenpferchte und sie zu Lagern bei Fabriken, Großbaustellen und Bergwerken transportierte, wo die Menschen schuften mussten, bis sie entkräftet starben. Zugleich siedelte man Chinesen in den bereits geräumten Stadtvierteln an.
»In Marseille findet ihr keinen einzigen Europäer mehr«, erklärte der Capitaine der Olympics. »Über zwanzig Millionen Chinesen bevölkern die Ruinen schon und bauen sie wieder auf. Und täglich werden es mehr.«
»Und die Lager?« Jeanne war bleich geworden, ihre Stimme klang brüchig. »Sie können doch nicht alle Einwohner des Bundesstaates in Lager stecken.«
»Viele treiben sie in Ferngleiter. Frag mich nicht, wohin die Gelbärsche die Leute bringen. Die meisten aber sterben in den Lagern und Fabriken oder auf dem Weg dorthin.«
»In Deutschland sieht es nicht viel besser aus«, ergriff jetzt der junge Bursche mit dem gelb-schwarzen Haar das Wort. Er sprach mit hartem deutschen
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