32 - Der Blaurote Methusalem
acht Polizisten, hinter ihnen die Oberpriester mit den beiden Tragbahren. Jetzt begriff Turnerstick, daß er sich in Beziehung des ‚Feuerwehraufzuges‘ oder ‚Vogelschießens‘ gewaltig geirrt habe. Er erriet, was hier vorgehen solle, und es wurde ihm außerordentlich schwül unter der Mandarinenmütze.
„Alle Teufel!“ flüsterte er seinen Mitgott zu. „Sie bringen die Götzen zurück und wollen sie auf die Dinger stellen, auf denen wir sitzen! Was ist da zu tun?“
Man konnte die Bewegung seiner Lippen nicht sehen, da er den Fächer vorhielt.
Auch dem Dicken wurde himmelangst. Er begriff, daß die Götter auch Augenblicke haben können, in denen sie lieber gewöhnliche Menschen und weit fort vom Tempel sein möchten.
„Ja“, antwortete er möglichst leise. „Wat zullen wij maken?“
„Es gibt nur eine einzige Rettung. Bleiben wir sitzen, ohne uns zu rühren. Vielleicht sind unsre Plätze doch nicht diejenigen, auf welche die beiden Götzenbilder gehören.“
Starr vor sich hinblickend, warteten sie auf das, was nun geschehen werde.
Die Polizisten waren vorgeschritten, ohne zu bemerken, daß zwei Götter zuviel vorhanden seien. Sie wußten nicht, wohin die beiden Geraubten gehörten. Die Oberpriester aber hatten ihre Blicke unwillkürlich dorthin gerichtet, wo die Feierlichkeit vor sich gehen sollte. Sie sahen die Plätze besetzt und blieben vor Erstaunen halten. Und als sie von den nachfolgenden Bonzen weiter vorgedrängt wurden, setzten sie die Bahren nieder und deuteten auf die inzwischen angekommenen Götter.
War das möglich! Hatten sich Himmlische herbeigelassen, herniederzusteigen, um das Kloster für den Raub dadurch zu entschädigen, daß sie nun sich an die verwaisten Plätze setzten? Es überlief die frommen Buddhisten ein kalter Schauder. Sie getrauten sich nicht vorwärts und wurden doch von den Nachdrängenden immer weiter vorgeschoben, so daß sie in die nächste Nähe der beiden Wundergestalten kamen.
Die im Innern des Vortempels Stehenden flüsterten den draußen Befindlichen die Kunde des Wunders zu. Jeder wollte dasselbe sehen, und so begann ein Schieben und Stoßen, welchem die Bonzen, die in den Tempel gehörten, dadurch ein Ende machten, daß sie die Tür verschlossen, was allerdings nur unter Anwendung von Gewalt geschehen konnte.
Nun befanden sich nur die Polizisten, die Oberpriester, die Bonzen und mehrere Mandarinen, welche sich unmittelbar hinter den Tragbahren im Zug befunden hatten, in dem Tempel. Draußen schwieg die Musik; unterdrücktes Gemurmel drang wie ein leises Brausen herein; im Innern aber herrschte noch feierliche Stille.
Dann flüsterten die Priester einander leise Bemerkungen zu. Sie hielten einen Rat, was zu tun sei. Dann trat der Ta-sse (Vorsteher) des Tempels vor die beiden Götter, verbeugte sich tief vor ihnen und fragte:
„Schui ni-men, thian-tse – Wer seid ihr, Himmelssöhne?“
Es erfolgte keine Antwort.
„Hi-weï iü-tsi – Warum seid ihr hier?“ fuhr er fort.
Die Göttlichen geruhten nicht, zu antworten. Keine Bewegung von ihnen zeigte an, daß sie sich eines sehr irdischen Daseins erfreuten. Nur von der Schläfe des Dicken rollte ein schwerer Angstschweißtropfen, welcher aber von niemand bemerkt wurde.
Da wandte sich der Ta-sse zu den Priestern zurück und sagte: „Schu-tschi-ho, schok-tschi-ho – Was soll man davon denken, wie soll man sich dazu verhalten?“
Turnerstick brachte es fertig, ganz ruhig zu bleiben. Der Mijnheer aber hatte keine solche Gewalt über sich. Es war ihm glühend heiß im ganzen Körper. Auf seinem kahlen Kopf, welchen die schottische Mütze nicht ganz bedeckte, sammelte sich der Schweiß und begann in großen Tropfen herabzuperlen. Seine Hand zitterte, so daß der Schirm wankte, nicht allzusehr zwar, aber einer hatte es doch bemerkt. Dieser eine war ein junger Mann von vielleicht einundzwanzig Jahren, der jüngste unter den Anwesenden. Er hatte unter den Mandarinen gestanden. Jetzt trat er vor, schob den Ta-sse beiseite und sagte zu ihm: „Ngo yen huo t'a-men – Ich werde mit ihnen sprechen.“
Er schritt zu den beiden heran und betrachtete sie. Dann ging er nach der Ecke, in welcher auf einer Art Altar Räucherstäbchen glimmten, ergriff eins derselben, kehrte zurück und hielt es dem Dicken unter die Nase.
Der Mijnheer gab sich alle Mühe, dem scharfen, wenn auch angenehmen Geruch zu widerstehen, doch vergeblich. Der Rauch drang ihm in die Nase und – – – „Ha – ha – ha –
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