32 - Der Blaurote Methusalem
wagte aber nicht, dem Gespräch eine Fortsetzung zu geben. Welche Freude aber empfand der brave Methusalem, die Gesuchten nun endlich, und zwar so ganz unerwartet, ohne alle Anstrengung, ohne sein Zutun gefunden zu haben. Das war auch schon bei den beiden Söhnen des Händlers der Fall gewesen; er mußte es für Gottes Schickung nehmen.
Es stand bei ihm fest, daß der Mohammedaner den eigentlichen Stand der Sache nicht erraten werde, so lange er verhindert wurde, mit den beiden Brüdern über diesen Gegenstand zu sprechen, was ja nicht schwer erreicht werden konnte. Vielleicht wußte er bereits, daß der eine dieser Brüder Liang-ssi hieß, da dieser Name öfters genannt worden war; da aber dieser letztere in China sehr häufig ist, so brauchte nicht gerade gefolgert zu werden, daß der Träger desselben der verschwundene Liang-ssi sei.
Eigentlich trieb es den Methusalem innerlich, den Brüdern schleunigst mitzuteilen, daß ihre Mutter und ihre Schwestern am Leben und gefunden seien; aber er freute sich auf die außerordentlich freudige Überraschung, wenn die Verwandten sich gegenseitig erkannten, ohne vorher etwas davon geahnt zu haben. Daher war er entschlossen, seine Entdeckung einstweilen noch geheimzuhalten, da es sich ja nur um höchstens zwei Tage handelte, welche Zeit man bedurfte, um die angegebene Gegend zu erreichen.
Er kannte die Namen der Familienmitglieder, weil Ye-kin-li sie ihm mitgeteilt hatte. Die Bedeutung derselben war folgende: Die Mutter Hao-keu (‚Lieblicher Mund‘); die Söhne Liang-ssi (‚Gutes Geschäft‘) und Jin-tsian (‚Güte des Himmels‘); die Schwestern Méi-pao (‚Schöne Gestalt‘) und Sim-ming (‚Herzenslicht‘). Es ergibt sich hieraus, in welcher Weise die chinesischen Eltern ihre Kinder nennen.
Kurz nach Mittag wurde die Stadt Kue-jang erreicht, durch welche man ritt, ohne sich aufzuhalten, da man kein Bedürfnis dazu hatte. Zwei Stunden später gelangten die Reisenden an den Fluß Lai-kiang, dessen Lauf sie aufwärts folgten, um dann die Nacht in einem an der am Ufer hinführenden Straße liegenden Einkehrhaus zu verbringen. Am andern Morgen wurde die angegebene Richtung weiter verfolgt.
Dieser Fluß kommt von einem schmalen, langgestreckten Höhenzug, welcher vom Nan-ling-Gebirge ausläuft und sich bis nach der Stadt Kin-gan erstreckt. An seinem rechten Ufer steigt das Land als schiefe Ebene nach dem Höhenzug empor, während das linke durch eine Bergkette von einem östlich liegenden weiten und fruchtbaren Becken getrennt wird, in welchem europäische Kenner unbedingt nach Kohle graben würden. Dieses Becken ist mit dem Fluß durch Quertäler verbunden, welche die erwähnte Bergkette durchbrechen. Es wird von dem Flüßchen Dschang durchströmt, an welchem der Wohnort des Onkels Daniel liegen sollte.
Daß in einem kohlenreichen Becken Petroleum gefunden wurde, war leicht erklärlich. Übrigens ist die Meinung, daß man in China dieses Produkt gar nicht kenne, eine irrige, denn schon in einem Jahrhunderte alten chinesischen geographischen Werk, dem unsren Gelehrten noch wenig bekannten Schen-si-king, lautet eine Stelle: „In dieser Provinz liegt die Stadt Yen-gan-fu, wo ein dunkles, übelriechendes Öl aus der Erde fließt, welches man in Lampen und Laternen brennt, da es ein besseres und billigeres Licht als dasjenige der Talgkerzen und gewöhnlichen Öllampen gibt.“
Kurz nach dem Mittag dieses zweiten Tages sah man ein kleines Dörfchen am Ufer des Flusses liegen, und der Hoei-hoei erklärte, daß dieses sein gegenwärtiger Wohnsitz sei, wo sich mit ihm noch mehrere Mohammedaner niedergelassen hätten.
Daß hier der Islam eine Stätte gefunden habe, wenn auch nur eine kleine, konnte man aus dem schlanken, hölzernen Türmchen ersehen, welches die Baumwipfel der Gärten überragte. Es war das Minarett der Li-pai-sse, welche die Bekenner der Lehren Mohammeds hier errichtet hatten.
Der Methusalem hatte sich seit gestern früh alle Mühe gegeben, ein längeres Gespräch des Hoei-hoei mit den Brüdern zu verhindern. Diese letzteren hatten also nicht die Spur einer Ahnung, daß sie hier ihre Mutter und Geschwister finden würden.
Links von der Straße lag der Fluß, welcher sich hier seeartig erweiterte. Auf dem Wasser hielten Kähne mit Leuten, welche Fische fingen, wozu sie sich aber nicht der Angeln oder Netze, sondern der bekannten Vögel bedienten, welche Tschu-tsche oder Wasserraben heißen.
Rechts zogen sich die kleinen Häuser und hinter denselben
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