32 - Der Blaurote Methusalem
bewillkommnen!“
Er eilte fort.
Liang-ssi hatte nichts davon erwähnt, daß der Bettlerkönig das Etablissement des Onkels Daniel so oft besuche. Vielleicht war diese Unterlassung ganz ohne Absicht geschehen und nur eine Folge des reinen Zufalls.
Der Methusalem sagte seinen Gefährten, wen man da draußen erwarte, und sie traten mit ihm an das geöffnete Fenster, um diesen ebenso berühmten wie einflußreichen Mann kommen zu sehen.
Die Stimme der Nahenden wurden immer lauter und lauter. Man hörte Pferdegetrappel, und dann erschienen, vom Volk umgeben, zehn sehr gut bewaffnete Reiter, welche nichts weniger als den Eindruck von Bettlern machten. Ihre Pferde waren von einer besseren Rasse als diejenigen, welche der Methusalem während seines Aufenthaltes hier im Land gesehen hatte, und ihrer Kleidung nach mußte man sie für sehr wohlhabende Leute halten.
Das Gewand des Vornehmsten unter ihnen war ausschließlich aus Seide gefertigt. Er trug einen kostbaren Degen, und das Zaumzeug seines Rosses war mit starkem Silber beschlagen. Er war vielleicht sechzig Jahre alt und hatte ein sehr würdevolles Aussehen, wozu der lange Schnurrbart, welcher ihm rechts und links in starken Flechten bis über die Brust herabreichte, viel beitrug. Er hatte keinen Knopf auf der Mütze, ein sicheres Zeichen, daß er kein Mandarin sei; doch war seine Erscheinung gewiß ebenso ehrfurchtgebietend wie diejenige eines hohen Beamten des Reiches.
Er schwang sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sattel und schritt der Tür des Hauses zu, an welcher ihn der Wirt mit tiefen Verbeugungen empfing. Der T'eu behandelte ihn nicht wie einen tieferstehenden Mann, sondern in sehr leutseliger Weise, indem er, wie es zwischen Gleichberechtigten geschieht, seine Hände ineinander und dann, nachdem er sich verbeugt hatte, auf die beiden Achseln des Wirtes legte.
Welche Worte dabei gesprochen wurden, das konnte der Student nicht hören. Er war vom Fenster zurückgetreten und hatte mit seinen Gefährten auf einer der für die Gäste bestimmten Bänke Platz genommen. Bald darauf trat der Bettlerkönig mit seinen Begleitern ein.
Der Wirt hatte ihm jedenfalls schon draußen gesagt, daß vornehme und ausländische Gäste anwesend seien. Das war aus dem Blick zu ersehen, mit dem er die Anwesenden musterte, und aus der tiefen Verneigung, mit welcher er sie begrüßte. Sie erhoben sich und verneigten sich ebenso.
„Ich komme, um diese Nacht bei Ihnen zu bleiben“, sagte er zum Wirt. „Sind die Stuben frei, welche wir gewöhnlich bewohnen?“
„Leider nicht“, antwortete der Gefragte verlegen. „Ich habe sie diesen huldvollen Herren gegeben, da mir Ihre Ankunft nicht bekannt war, hoher Beschützer.“
„So werden wir in andern Räumen schlafen?“
Da bemerkte der Methusalem in zuvorkommender Weise: „Das werden wir nicht zugeben. Der mächtige König der Armen und Notleidenden soll nicht unsertwegen auf die gewohnte Bequemlichkeit verzichten. Wir treten ihm sehr gern die Räume ab, welche er zu bewohnen pflegt.“
„Wissen Sie denn, wer ich bin?“ fragte der König.
„Ich vernahm es soeben und habe auch schon längst gehört, welche Ehrerbietung man Ihnen zu zollen hat.“
„Nun, dann werden Sie wohl auch gehört haben, daß der T'eu niemals die Gesetze der Höflichkeit verletzt. Sie kommen aus einem fernen Land und dürfen erwarten, daß Sie überall auf das gastlichste aufgenommen werden. Es wäre ein Vergehen gegen die gute Sitte, wenn ich Ihr großmütiges Anerbieten mißbrauchte. Darum ersuche ich Sie, die Zimmer, welche für Sie bestimmt sind, zu behalten.“
„Aber gebietet nicht eben diese gute Sitte, daß jeder Jüngere vor dem Älteren zurücktritt?“
„Ja, aber auch der Tiefere vor dem Höheren. Und der letztere sind doch Sie von uns beiden.“
„O nein, Sie sind König.“
„König der Armen und Elenden, was soviel wie nichts ist. Darf ich vielleicht Ihren glanzvollen Namen erfahren?“
„Unsere Namen sind auf diesem Kuan des Kaisers verzeichnet.“
Er gab ihm den Paß, welchen er von dem Tong-tschi erhalten hatte. Der T'eu entfaltete denselben und verbeugte sich, als er das Siegel und die Unterschrift gesehen hatte, dreimal bis fast zum Boden herab. Dann las er die Namen. Als er damit zu Ende war, verbeugte er sich abermals, legte den Paß zusammen, gab ihn zurück und sagte: „Das ist die höchste Empfehlung, welche einem Menschen bei uns werden kann. Dennoch wage ich es, Ihnen auch meine geringen Dienste
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