32 - Der Blaurote Methusalem
Deutschen, welcher es in der Fremde hört, erfreuen, zumal, wenn man ihn damit, daß man ein Deutscher ist, überraschen will. Ich meine nämlich: ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘‘“
»Ja, das ist's, das wird gesungen. Das ist etwas für meinen Baß. ‚Was ist des Deutschen Vaterland?‘«
Diese letzten Worte sprach er nicht, sondern er sang sie nach der allbekannten Melodie, und zwar mit so dröhnender Stimme, daß die Pferde stutzten und die Reiter sich erschrocken nach ihm umwandten.
Er lachte erfreut über diese Wirkung seines Stimmorgans und fuhr fort: „Wir können alle Verse auswendig, und umwerfen werden wir auch nicht, da wir drei das Lied unzähligemal dreistimmig gesungen haben, du die Melodie, Richard, der Gottfried das Zwischengesäusel und ich die Grund- und Orgeltöne.“
„En ik?“ fragte der Mijnheer. „Ik wil ook met zingen!“
„Sie?“ fragte der Gottfried. „Können Sie denn singen?“
„O, zeer goed, zeer fraai. Ik kan zingen en fluiten als ene merel of nachtegal – O, sehr gut, sehr schön. Ich kann singen und pfeifen wie eine Amsel oder Nachtigall.“
„Aber nicht deutsch!“
„Ook Duits.“
„Wo haben Sie das jelernt?“
„In Keulen. Ik was daar metlid van de Lyra – In Köln. Ich war da Mitglied der Lyra.“
„Also eines Gesangsvereins?“
„Ja. Wij hebben daar zaterdags avonds gezongen – Ja. Wir haben da Samstag abends gesungen.“
„So! Aberst dat Lied, welches wir meinen, dat kennen Sie wohl nicht?“
„Wat is des duitschers vaderland? O, dat kan ik ongemeen fraai zingen – O, das kann ich ungemein schön singen.“
„Und wat haben Sie für eine Stimme?“
„Ene zeer gunstige een bijzondere – Eine sehr günstige und vorzügliche.“
„Ich meine, ob Sie Baß, Tenor oder Bariton singen?“
„Ik zing zeer hoog; ik heb ten minste Diskant en ook nok hoger – Ich singe sehr hoch; ich habe mindestens Diskant und auch noch höher.“
„Wat! Diskant und noch höher? Dann singen Sie wohl Pikkoloflöte?“
„Ja wel; ik zing ook de fluite; ik zing veel beter als de leeuwerik en de kwaktel – Jawohl; ich singe auch die Flöte; ich singe viel besser als die Lerche und die Wachtel.“
„So sind Sie ein wahres Unikum, und ich bin neugierig, Sie zu hören.“
„Zal ik straks thans eenmaal zingen? Ik ontgin zoofoort – Soll ich gleich jetzt singen? Ich fange sofort an!“
„Ja, singen Sie etwas Schönes!“
„Zoo word ik zingen ene duitsche zangwijze, namelijk: morgenrood, morgenrood. Niet? – So werde ich singen eine deutsche Melodie, nämlich: Morgenrot, Morgenrot. Nicht?“
„Ja. Fangen Sie an; dann leuchtet's mich janz jewiß zum frühen Tod.“
Der Dicke hustete einige Male sehr nachdrücklich, um seine Kehle zu reinigen; dann fuhr er sich mit dem Finger hinter die Halsbinde, um sich zu überzeugen, daß dort nichts vorhanden sei, woran die Töne hängen bleiben könnten. Dann machte er die Augen zu und rief: „Voorgezien, voorgezien – Vorgesehen, vorgesehen!“ als ob für die Zuhörer eine Gefahr nahe sei, und öffnete den Mund, um sein musikalisches Exempel zu statuieren. Da aber bat ihn der Methusalem: „Jetzt nicht, jetzt nicht, Mijnheer! Wir wollen lieber warten bis zum Abend.“
Er befürchtete, daß der Dicke sich lächerlich machen werde. Dieser machte den Mund wieder zu und die Augen auf und meinte in gleichmütigem Ton: „Ik heb niets daartegen. Ik kan ook's avonds zingen. Het klinkt insgelijks goed – Ich habe nichts dagegen. Ich kann auch des Abends singen. Es klingt ebenfalls gut.“
Von diesem Erfolg befriedigt, lenkte der Methusalem sein Pferd wieder an die Seite des Bettlerkönigs, wo es zwar weniger zu lachen, aber mehr zu lernen gab.
ACHTZEHNTES KAPITEL
Bei Onkel Daniel
Der Trupp hatte die Bergkette längst hinter sich und befand sich auf einem weiten, unabsehbaren Gefilde, aus dessen Grün die Häuser zahlreicher Dörfer hervorblickten. Wald gab es gar nicht, aber in der Nähe der Ortschaften Fruchtbäume genug. Die Felder wurden durch nutzbare Bambushecken voneinander getrennt.
Die gut gepflegte Straße führte an der Seite des erwähnten Nebenflüßchens hin, bis sie dasselbe in östlicher Richtung verließ, um sich nach dem Gebiet des Dschangflusses zu wenden, an dessen nördlichem Quellarm Ho-tsing-ting lag.
Kurz vor Mittag wurde Rast gemacht, doch nur um die Pferde zu tränken. Dann ging es wieder weiter. Man merkte mehr und mehr, welchem Ort man sich näherte. Karren mit Kohlen
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