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324 - Eine neue Chance

324 - Eine neue Chance

Titel: 324 - Eine neue Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Morgan«, flüsterte er. »Du und der kosmische Dämon. Manchmal glaube ich, ihr wärt verwandt.«
    »Red keinen Unsinn«, wies Morgan ihn zurecht. Er saß auf den Schaltflächen einer Konsole, seine Beine baumelten vergnügt hin und her, die Fersen schlugen aufreizend gegen die Kunststoffverschalung. »Du bist meine Familie und niemand sonst. Nur du kannst mich sehen. Spricht das nicht für sich?«
    Wang nickte knapp. Seit dem Gleiterunfall, der mit Morgans Tod endete, hatte der Junge nur noch ihn. Sein Geist umgab Dexter Wang, besonders seit ihrer Reise zur Erde.
    Es war Morgan gewesen, der ins Weltall gehen wollte. Dexter Wang hatte es nie dorthin gezogen. Und doch war ihm das vergönnt gewesen, was Morgan durch sein frühes Ende versagt blieb. Dexter Wang besaß seinen Körper schließlich noch.
    »Findest du es immer noch so großartig im Weltraum?«, fragte er den Sechsjährigen mit dem zermatschten Schädel.
    »Es ist ein wenig einsam«, räumte Morgan ein.
    Wang lachte bitter auf. »Einsam? Sie sind alle tot . Kommandant Asgan Pourt Tsuyoshi hängt in den Kabelsträngen in seiner Kabine. Er war der Letzte.«
    »Du hast die Melody vergessen«, krähte der Junge fröhlich.
    »Richtig. Dace Melody sitzt eingesperrt in einer Zelle, weil sie verrückt geworden ist.«
    »Zum Glück ist dir das nicht passiert«, gab der Junge ätzend zurück.
    Dexter Wang schüttelte sich. Er hatte das Gefühl, dieses Gespräch mit Morgan schon vor wenigen Minuten geführt zu haben, und sicher würde er es bald erneut führen. Immer wieder bedrängte ihn der Bruder mit seinem Zynismus und abgrundtiefer Bösartigkeit.
    Wangs Hand wanderte wieder in Richtung der Pillen, die ihn von diesem Spuk befreiten. Wäre ich ohne ihn nicht besser dran? Aber dann wäre ich ganz allein...
    Wangs Blicke schweiften über die Leichen in der Zentrale. Der verkrümmte Körper von Valdis Angelis. Aus dem Hals des Orters ragte eine rote Strebe. Das Blut floss noch. Es war nicht lange her, dass es Angelis erwischt hatte. Die Nähe zum Streiter hatte die gesamte Crew wahnsinnig gemacht.
    Nur mich nicht , dachte Wang emotionslos und mit ungewohnter Klarheit. Weil ich schon verrückt bin . Die Pillen haben mich vor dem Streiter geschützt.
    Sein Blick glitt von Angelis fort, hin zu einem anderen erschreckenden Detail. Auf der Steuerungskonsole lag die sorgfältig manikürte Hand von Leda Raya Braxton. Die Frau saß im Pilotensessel. Noch vor wenigen Minuten hatte sie unerträgliche Laute gemacht. Dexter Wang hatte ihr helfen wollen und dafür gesorgt, dass ihr Leid und ihr Wahnsinn aufhörten. Er hatte ihr das Genick gebrochen. Die Braxton hatte das Schiff auf Sonnenkurs gesetzt. Einsicht hatte sie nicht zeigen können.
    Ich hätte sie nicht töten dürfen, aber ich will nicht sterben , dachte Wang benommen. Er hatte das Gefühl, sich vor sich selbst rechtfertigen zu müssen. Nicht so. Wenn ich wenigstens als Märtyrer untergehen könnte, dann würde mir nicht alles so sinnlos erscheinen. Aber ich kann es nicht. Was soll ich schon gegen den Streiter ausrichten? Morgan auf ihn hetzen?
    Deshalb hatte er das Raumschiff gestoppt. Er wusste noch nicht, was er als Ziel auswählen sollte. Den Mars? Einen Kontakt zur Heimat gab es lange nicht mehr. Ob Militärpräsident Leto Angelis überhaupt noch lebte?
    Dexter Wang dachte daran, dass der Streiter auf seinem Weg zur Erde den Mars passiert haben musste. Was das im Einzelnen bedeutete, wollte er sich nicht vorstellen. Es musste jeden seiner Albträume verspotten. Wie viele Tote hatte es gegeben? Lebte auf dem Mars überhaupt noch jemand?
    »Was denkst du?«, quengelte Morgan.
    »Ich dachte an den Auftrag«, log Wang, um dem kleinen Monster keinen weiteren Anlass zu geben, ihn mit Worten zu foltern. Morgan hätte die Gelegenheit sicher genutzt, in blutigen Einzelheiten ein Szenarium des Grauens auf dem Mars vor ihm auszubreiten, bei dem sich seine Nackenhaare aufgestellt hätten.
    »Den dritten Cortex auf dem Erdmond?«, hakte Morgan nach. »Den können wir nicht mehr reaktivieren. Es wird auch nicht mehr nötig sein.« Er wies großspurig zum Monitor. »Wir haben den Streiter gefunden.«
    Wang wurde von einem Blitzen auf der Sichtdarstellung abgelenkt. »Schau, Morgan! Da passiert etwas!«
    Im Inneren des Streiters zuckte es. Von einem Augenblick zum anderen wurde Wang eiskalt. Das Erwachen dieser entsetzlichen Kreatur, die aus geballter Zerstörungskraft zu bestehen schien, löste Panik in ihm aus. War es so weit?

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