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324 - Eine neue Chance

324 - Eine neue Chance

Titel: 324 - Eine neue Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Vergangenheit quälten sie. Ihre Faust öffnete sich.
    »Halte durch!«, schrie eine vertraute Stimme. »Ich hab’s gleich geschafft!« Am Rand ihrer Wahrnehmung spürte sie Rulfan, der sich an ihrer Hand nach oben zog.
    Der dunkle Bruder geht , dachte sie keuchend. Und er nimmt mich mit an Wudans Tafel.
    Sie ließ Rulfans Hand los, wurde schwer wie ein Sack. Der Schnee war ein willkommenes Lager. Vielleicht würde er ihr Totenbett werden.
    »Aruula!«, brüllte Rulfan.
    Seine Stimme verklang. Wir sind gar nicht im Schnee, erkannte Aruula verwundert. Auf eine verrückte Art und Weise konnte sie noch immer denken, obwohl sie nicht mehr in ihrem Körper war, sondern darüber schwebte, mitten in den Wolken. Unter sich sah sie zwei Bilder, die einander überlagerten.
    Das Erste zeigte sie auf dem Bauch liegen, ihre Finger schlaff in Rulfans Griff, der Freund und Vogler kniend auf dem Weiß.
    Auf dem anderen Bild flog Voglers Kopf davon. Sie hatte ihm das Schwert über den Hals gezogen und stand nun da und überlegte, ob sie Rulfan leben lassen oder töten sollte. Was wollte der Streiter?
    Das ist verrückt. Aruula wollte fort, irgendwohin, wo Klarheit herrschte. Sie war keine Wolke, kein Vogel, der über allem schwebte. Mit geballter Konzentration versuchte sie die Bilder zu vertreiben, doch sie blieben bestehen.
    Aruula ließ Rulfan in seiner Notlage allein, stapfte durch den Schnee davon, zum Flächenräumer, und blieb doch an Ort und Stelle liegen. Die Gleichzeitigkeit der Vorgänge war widersinnig.
    Jetzt ist es so weit. Sie schloss die Augen. Die Geister der Verwirrung eilen Krahac voraus. Der Totenvogel wird mich holen.
    Aber nichts dergleichen geschah. Der Schrei in ihrem Kopf endete, die Dunkelheit der geschlossenen Lider wich mit den verwirrenden Bildern. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Sie fühlte sich, als wäre sie unter die Hufe eines Horsays geraten.
    »Aruula?«, fragte Rulfan.
    Mühsam richtete sie sich auf. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte. »Rulfan, ich... ich hatte eine Vision...« Sie zögerte. »Eher eine Wahnvorstellung.«
    Sie sah Tränen in Rulfans Augen steigen. Sie konnten vom Sturm kommen, aber warum sah der Freund sie so durchdringend an? »Was ist denn?«
    »Du klingst wieder wie du selbst!«, schrie Rulfan gegen den Wind an und half ihr aufstehen. »Die Beeinflussung durch den Streiter ist fort!«
    Der Sturm legte sich so plötzlich, dass das letzte Wort weithin in der Stille hallte. Aruula zuckte zusammen. Dunkel erinnerte sie sich an die Beeinflussung durch das kosmische Wesen. Die letzten Stunden erschienen ihr wie ein böser Traum.
    »Der Streiter...« Sie sah zum Himmel. Ein Sonnenstrahl brach zwischen den Wolken hindurch. »Er... ist tot.«
    »Matt muss es geschafft haben.« Rulfan stützte sie beim Gehen. Er führte sie ein Stück von der Abbruchkante fort. »Kannst du allein stehen? Ich will nach Vogler sehen.«
    Aruula nickte verstört. Ihre Empfindungen spielten verrückt. Sie war erleichtert, dem schrecklichen Einfluss des Streiters entkommen zu sein, gleichzeitig drückte die Erinnerung der beiden Bildabfolgen auf ihr Gemüt. Was bedeutete das? In einem aufblitzenden Bild sah sie sich und Rulfan sterben, vor dem Zugang des Flächenräumers in der Eisspalte. Mein Kopf hat Schaden genommen, das ist es.
    »Rulfan?«, erklang neben ihr eine Stimme. »Aruula?«
    Rulfan half Vogler auf die Beine und zog ihm ein Fell über.
    Der Marsianer starrte sie nacheinander an. Sein Blick bohrte sich in den Aruulas. »Du... du hast mir den Kopf abgeschlagen«, murmelte er noch benommen.
    Aruula spannte jeden Muskel an. Sie öffnete den Mund. »Du hast es auch gesehen, Vogler? Es war kein Wahn, es war...« Ja, was war es gewesen? Zwei Bilderreihen, wie von zwei Möglichkeiten.
    Vielleicht zwei Zeitabläufe...
    Voglers Aufschrei unterbrach den Gedankengang. »Clarice!« Der Marsianer rannte zur Eisspalte.
    ***
    Dreißig Jahre vor Ei’dons Krönung
    Gilam’esh genoss die Ruhe im Mentorium. Er hatte den Schülern eine Denkaufgabe gegeben und erwartete erst in einer halben Phase ihre Antworten. Bis dahin nutzte er die Zeit, die ihm Anvertrauten zu beobachten und sich Gedanken über ihre Mitarbeit und Entwicklung zu machen.
    Me’it machte gute Fortschritte. Der grünblaue Junghydrit hatte sich erstaunlich verbessert. Sar’tus war kurz davor, Chal’fir als Klassenbeste zu überholen. Aber auch die anderen arbeiteten gut mit; es machte ihnen Freude, etwas über ihre Welt zu erfahren,

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