324 - Eine neue Chance
erreicht. Aber etwas ist anders als gedacht. Da ist... ja, was stört mich eigentlich?
Sie hörte dicht hinter sich das Schnaufen von Rulfan.
Wir sind nicht allein , erkannte Aruula und zog ihr Schwert. Aus dem Schneetreiben vor ihr schälte sich eine hohe Gestalt. Aruula spürte, dass sie keinen Barschbeißer vor sich hatte. Ihre Sinne waren geschärft, Wudans dunkler Bruder verlieh ihr Macht und stärkte ihre Gabe.
Das ist ein Mensch, den ich kenne.
Obwohl sie das wusste, ließ Aruula das Schwert nicht sinken. Sie erinnerte sich an die Männer beim Markt, die sie überfallen hatten. Ihr Schwert hatte gesungen, während sie die Bande tötete. Aruula wollte wieder töten. Berauschende Wärme stieg in ihr auf. Freudig hob sie die Waffe an und verharrte nur einen Augenblick später zweifelnd. Der Gedanke, einen Freund zu töten, schreckte sie trotz des Drucks in ihrem Inneren ab.
Aruula erkannte das von tiefen Linien zerfurchte Gesicht. Vor ihr stand Vogler, der Waldmann vom Mars. Sein Oberkörper war nackt. In seinen langen Haaren glitzerten Eiskristalle und Schnee. Sie trat auf ihn zu. »Was machst du hier, Vogler?«
»Alle sind tot!«, krächzte der Marsianer. Er zitterte stark. Die Pigmente stachen auf der blauweißen Haut hervor. »Alle. Auch Clarice. Alle sind tot, tot...«
Und dich würde ich am liebsten hinterher schicken , dachte Aruula gehässig. Das Gewicht der Waffe lag auffordernd in ihrer Hand.
Tu es, flüsterte eine Stimme in ihr. Die Bande der Freundschaft sind lange zerrissen. Töte ihn, der Streiter will es.
»Alle? Auch Matt?«, unterbrach Rulfan ihre Gedanken.
Aruula schüttelte den Kopf. Maddrax lebte, sie konnte ihn fühlen. Der dunkle Bruder Wudans ließ sie die Menschen und die Kreatur im Flächenräumer wahrnehmen. Maddrax, Xij und Grao’sil’aana waren dort. Der Gedanke an den Daa’muren weckte Hass in ihr.
»Alle sind tot«, stotterte Vogler weiter, »Matt... Clarice...« Der Marsianer drehte den langen Körper, hin zu einer schräg verlaufenden Eisspalte, die sich knapp hinter ihm öffnete. »Clarice liegt in ihrem eisigen Grab...«
Diesmal sagt Vogler die Wahrheit. Aruula trat vor. Während sie sich langsam bewegte, hastete Rulfan an ihr vorbei und sah in die Spalte.
Es ging gut zehn Meter hinab. Auf dem Grund lag etwas Dunkles, eingeschneit und verkrümmt.
Ein Opfer für den Streiter. Aruula spürte Entzücken. Ich werde ihm weitere schenken.
Vor ihr brüllte Rulfan: »Wie lange liegt sie schon da unten? Was ist passiert? Ist sie abgestürzt?«
Der Waldmann vom Mars kam näher. Aruula spürte seine Absichten. Er wollte Rulfan hinabstoßen. Soll ich ihn aufhalten? Sie sah unschlüssig zwischen Vogler und Rulfan hin und her.
»Abgestürzt, ja!«, schrie Vogler zurück.
»Und wie?«, fragte Rulfan.
Das wirst du gleich erleben. Aruula trat zurück und grinste. Sie sah zu, wie Vogler die Augen weit aufriss und nach vorne sprang. Er rammte Rulfan mit brachialer Gewalt.
Der Albino wurde überrumpelt, taumelte und stolperte rücklings auf die Eisspalte zu! Dann stürzte er und sein Körper verschwand aus Aruulas Blickfeld. Es war getan.
Vogler drehte sich zu ihr um. »Folgst du ihm freiwillig, Barbarin, oder soll ich nachhelfen?«
Aruula hob das Schwert. »Nicht ich werde das Opfer für Wudans dunklen Bruder sein, sondern du!« Sie schlug zu, wollte den Marsianer in zwei Hälften spalten.
Vogler wich aus, Aruula verfehlte ihn um Haaresbreite. Sie schrie und ging zur nächsten Attacke über, doch noch ehe sie Vogler erneut angreifen konnte, zerriss ein Brüllen den Sturm, das sie auf die Knie zwang.
Aruula ließ die Waffe fallen und hielt sich die Ohren zu. Was ist das? Wo kommt das her? Sie blickte zum schneegepeitschten Himmel, hinein in graue Wolken. Vor ihr sank Vogler in den Schnee und wand sich, als habe er einen Anfall.
Trotz des Gebrülls und der Schmerzen in ihrem Kopf fühlte sich Aruula klarer als die Stunden zuvor. »Rulfan!«
Der Freund schrie auch. Er hing an der Abbruchkante!
Ohne Rücksicht auf ihr eigens Leben warf sich Aruula vorwärts und bohrte die Stiefelspitzen in Schnee und Eis. Der Aufschlag auf dem Boden ließ die Welt verschwimmen, doch sie blieb bei Bewusstsein. Instinktiv suchten ihre Hände die Rulfans. Der Freund packte sie.
Meerdu , fluchte Aruula innerlich. Sie lag nicht mehr im Eis, unter dem Schrei des Streiters, sondern hing in der unterirdischen Folterkammer eines Verrückten. Schlaglichter ihrer schlimmsten Momente aus der
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