33 - Am Stillen Ozean
Druck der Verhältnisse.“
„Ah. Sie wollen zu erkennen geben, daß Sie Teilnahme für mich empfinden?“
„Dieses Gefühl zu hegen, ist sicherlich jedermann erlaubt, dasselbe aber durch Wort auszudrücken, kann unter Umständen kühn genannt werden.“
„Wissen Sie, daß wir Damen die Kühnheit lieben und uns von derselben imponieren lassen?“
„Grad so, wie wir die Schönheit bewundern und uns gern unter ihre Herrschaft begeben.“
„Wirklich? Dann mögen Sie mich für schön und ich will Sie für kühn halten, damit wir uns durch gegenseitige Bewunderung die Zeit bis zum Abgange des Zuges verkürzen vermögen!“
„Angenommen. Hier meine Karte!“
„Danke! Und hier die meinige!“
Wir verbeugten uns gegenseitig, und ich schob ihr einen Sessel in meine Nähe. Sie nahm Platz.
‚Adele Treskow, Sängerin, Berlin‘ stand in feinen Zügen auf ihrer Karte, und allerdings nur eine ‚Künstlerin‘ konnte sich in so selbständiger, beinahe emanzipierter Weise einem fremden, ihr vollständig unbekannten Herrn beigesellen. Ich brauchte sie nicht für schön zu ‚halten‘, sondern sie war wirklich eine Schönheit, und zwar eine jener selbstbewußten, scheinbar natürlich und doch mit feiner Berechnung sich gebenden Schönheiten, wie sie von der Bühne gebildet und entwickelt werden. Der Name Treskow war mir sehr wohl bekannt; er wurde von einem altadeligen Geschlecht getragen. Sollte sie vielleicht diesem letzteren entstammen und unter dem Druck der Verhältnisse oder aus innerem Trieb zur Bühne gegangen sein? Nur fiel mir dabei der leise, polnische Akzent auf, mit welchem sie sprach.
Unsere nun beginnende Unterhaltung war eine sehr animierte und ließ mir die Sängerin als eine höchst interessante Persönlichkeit erscheinen. Bald voll tiefen, warmen Gefühls, bald naiv kokett, bald voll liebenswürdigen Humors, dann gleich ein wenig sentimental, duldete sie während des Gesprächs nicht die kleinste Pause, und ich beobachtete an ihr eine wahrhafte Virtuosität in jenem innigen, gemütvollen und eigentümlich verständsnisreichen Augenaufschlag, welcher, selbst wo nichts vorhanden ist, einen Schatz echter, reiner Weiblichkeit, ein tiefes Wissen und die Fähigkeit der Anschmiegung, der Akkommodation, erraten läßt und wohl manchen ernsten Mann betört und ihm bittere Täuschung bereitet hat.
„Auch Sie sind musikalisch, wie ich höre?“ fragte sie mich, als unsere Unterhaltung auf diesen Gegenstand gekommen war.
„Nur so viel, als man für das Haus braucht.“
„Spielen Sie Piano?“
„Auch ein wenig. C-dur, G-dur, F-dur. Viele Kreuze und B's liebe ich nicht.“
Sie nickte lachend.
„Das kennt man! Soll ich Ihnen beweisen, daß Sie ebenso gut Cis wie C oder Ges wie G und Fis wie F spielen?“
„Wie wollen Sie diesen Beweis führen?“
„Durch einen Vorschlag, den ich Ihnen mache.“
„Dann bitte!“
„Wir haben noch volle zwei Stunden Zeit?“
„Allerdings.“
„Sie geben zu, daß es hier auf dem Bahnhof höchst langweilig ist. Ich besuchte gestern abend das Café N. und bemerkte in einem der hinteren Zimmer dort ein prachtvolles Instrument. Wollen wir zur Stadt gehen und ein wenig musizieren? Oder werden Sie mir Ihren Arm versagen?“
Ich akzeptierte natürlich diesen Vorschlag, der mir einen Kunstgenuß versprach, und verließ mit ihr den Bahnhof. Wenige Minuten später saßen wir in dem betreffenden Zimmer des Kaffeehauses und lösten einander am Piano ab. Ich gestehe gern, daß sie sich mir überlegen zeigte; doch schien es mir, als gehöre sie zu jenen Pianistinnen, welche nur einige eingeübte Stücke ausgezeichnet vorzutragen wissen und dann auch gleich am Ende ihrer Fertigkeiten stehen.
Während unserer Vorträge war ein Herr eingetreten und hatte um die Erlaubnis gebeten, Platz nehmen zu dürfen. Er war von hoher, starker Gestalt, sehr anständig gekleidet, hatte eine recht Vertrauen erregende, joviale Physiognomie und schien sich in nicht ganz schlimmen Verhältnissen zu befinden, denn unter seinem Überrock bemerkte ich eine respektable, wohlgenährte Geldkatze, welche er sich um den Leib geschlungen hatte.
Eben hatte die Sängerin eine ihrer Piècen beendet, als ein Ruf von der Tür erscholl:
„Fräulein von Treskow!“
Sie blickte sich um, ich mich auch. Am Eingang stand ein junger Herr, der vielleicht achtundzwanzig bis dreißig Jahre zählen mochte. Sein Äußeres war ganz dasjenige eines Mannes, der den ‚besseren‘ Ständen angehört. Er schien von der
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