33 - Am Stillen Ozean
Anwesenheit der Dame sehr überrascht zu sein, und sie über die seinige in gleichem Maße.
„Herr Assessor!“
„Welch ein Zufall, Sie hier zu sehen!“
„Und auch Sie! Was tun Sie hier?“
„So ist es Ihnen unbekannt, daß ich von Berlin nach hier versetzt wurde?“
„Vollständig! Ich mußte mir Urlaub erbitten, um eine Tante in Dorsten zu besuchen. Ich befinde mich auf der Rückreise und gehe mit dem nächsten Zug nach Düsseldorf. Doch gestatten die Herren, Sie miteinander bekannt zu machen.“
Der Assessor hieß Max Lannerfeld und war, wie er mir sagte, ein eifriger Bewunderer der Sängerin gewesen. Auch der dicke Herr erhob sich. Er meinte, da er einmal anwesend sei, halte er es für seine Pflicht, auch sich uns vorzustellen, besonders da er gleichfalls mit unserem Zug nach Düsseldorf fahren werde. Seinen Namen habe ich vergessen. Er war ein reicher Viehhändler aus Köln und kam von Holland, wo er bedeutende Geschäfte gemacht hatte. Er schien ein heiterer Gesellschafter zu sein und wurde in unserm Bund gern aufgenommen.
Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Journal, mit welchem die feinen, rosigen Finger der Sängerin spielten. Sie warf wie unwillkürlich einen Blick auf das Blatt und rief dann aus:
„Ah, Assessor, was sehe ich da!“
„Was?“
„Pankert ist in Hannover erwischt und eingezogen worden.“
„Pankert, der berüchtigte Kümmelblättler?“
„Derselbe. Da, lesen Sie!“
Der Assessor nahm das Blatt und überflog die betreffende Stelle.
„Wahrhaftig! Seine Ergreifung interessiert mich außerordentlich, da ich ihn früher einige Male zu vernehmen hatte; doch der Mann war so schlau, so gewandt und raffiniert, daß es mir unmöglich war, ihn zu überweisen. Er wurde stets wieder entlassen.“
„Ein Kümmelblättler?“ fragte der Viehhändler. „Ich habe von dieser Sorte der Bauernfänger so viel gehört und gelesen, ohne dieses Spiel zu kennen. Ist es schwierig zu erlernen?“
„Ja und nein; es kommt auf das Geschick an“, antwortete der Assessor.
„Benutzt man französische oder deutsche Karten dazu?“
„Ganz gleichgültig. Es werden drei, vielleicht auch vier Blätter dazu genommen, je nach der Weise des betreffenden Künstlers. Er zeigt eine der drei Karten vor, wirft sie mit den übrigen beiden untereinander und läßt dann sagen, wo sie liegt. Wer sie trifft, hat gewonnen, im anderen Falle verloren.“
„Dann möchte ich behaupten, sie stets zu treffen; es ist ja keine Schwierigkeit dabei.“
„Sie irren. Ich behaupte vielmehr, daß Sie nicht treffen.“
„Pah! Ich getraue mir sogar, eine Wette einzugehen. Gut aufpassen; weiter ist nichts nötig.“
„Hätte ich Übung, so wollte ich auf Ihre Wette ohne Zögern eingehen; leider aber kann ich dies nicht, da ich mir das Spiel nur zeigen ließ, um es oberflächlich kennenzulernen.“
„Nur nicht zu bescheiden, Assessor!“ meinte die Sängerin. „Sie haben ja auch uns das Kunststück gezeigt – es war eines Abends nach der Vorstellung, unter uns Künstlern – und besitzen eine ganz hübsche Fertigkeit darin.“
„Wirklich?“ fragte der Händler. „Unsereiner kann sehr leicht in die Lage kommen, von solchen Gaunern attrappiert zu werden, und dann ist es gut, wenn man einen Begriff von der Sache hat. Kennen Sie das Spiel, mein Herr?“ fragte er, zu mir sich wendend.
„Nein.“
„Dann wollen wir doch den Herrn Assessor ersuchen, es uns zu erklären. Karten sind ja wohl zu haben.“
Er verließ, da kein Kellner zugegen war, das Zimmer und kehrte bald mit einem Spiel Karten zurück, welches er dem Assessor überreichte.
„Ich darf nicht“, weigerte sich dieser. „Das Spiel ist verboten, und in meiner Stellung – – –“
„Pah, Stellung!“ fiel ihm die Sängerin ins Wort. „Wir sind ja unter uns, wollen das Spiel nur kennenlernen, ohne einander etwa zu übervorteilen. Und was Ihre Stellung betrifft, so können Sie sich ja sichern.“
Sie erhob sich und öffnete die Tür.
„Garçon, wir wünschen ungestört zu bleiben. Wenn wir etwas brauchen, werden wir Sie rufen.“
Sie machte die Tür zu und schob den Riegel vor.
„Gut, Ihnen zu Gefallen, Fräulein!“ meinte der Assessor und griff zu den Karten.
Das hatte sich alles so natürlich, so unauffällig gemacht, daß jedes Mißtrauen ausgeschlossen schien. Ich aber wußte sofort, woran ich war: ich hatte es mit Gaunern zu tun. Die Dame, welche sich eine Sängerin nannte, war die Zubringerin; sie hatte den Zug nach Düsseldorf
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