33 - Am Stillen Ozean
zufrieden mit demselben zu sein.
Wir erhoben uns.
„Bleibt noch einen Augenblick, Herr!“ bat der Oberkellner.
Er nahm den Speisezettel zur Hand und wandte sich gegen die übrigen Gäste. Nachdem er unsere Namen nochmals genannt hatte, verlas er alles, was wir genossen hatten, gab die Bezahlung an und veröffentlichte auch die Trinkgelder, welche der Kapitän verabreicht hatte. Dann wurden wir von dem ganzen Personal unter tiefen Bücklingen und mit der Bitte, wiederzukommen, nach dem Ausgang geleitet.
Der Kapitän schien sich durch diese Höflichkeit außerordentlich geschmeichelt zu fühlen.
„Feine und anständige Leute, diese Chinesen!“ sagte er. „Sie haben nur den gewöhnlichen Fehler, daß sie in ihrer Muttersprache nicht recht zu Hause sind. Wo bleiben wir heut nacht?“
„In irgendeinem Gasthaus, deren es in der Nähe des Flusses mehrere gibt.“
Wir setzten unsern Spaziergang fort. Derselbe erstreckte sich durch die äußeren Stadtteile, welche durch eine hohe starke Mauer von der eigentlichen Chinesenstadt, zu welche der Zugang erschwert ist, getrennt werden. Durch diese Mauer, welche in gewissen Zwischenräumen von Türmen gekrönt wird, führt hie und da ein Tor.
Die Straßen, Gassen und Plätze waren so belebt, als ob wir uns auf einem Jahrmarkt befänden. Da wir nicht stehenbleiben durften, um den Verkehr nicht zu unterbrechen, und weil sich dann sofort ein Haufen Neugieriger um uns versammelte, so wurden wir endlich müde.
„Wollen wir nicht ein wenig ausruhen, Charley?“
„Wo?“
„In einer Restauration natürlich, aber nicht hier außen. Ich muß auch die innere Stadt zu sehen bekommen.“
„Wollen wir das nicht für später aufheben? Wenn wir chinesische Anzüge tragen, werden wir keine Belästigung erleiden.“
„Später? Fällt mir gar nicht ein! Wenn ein Chinese nach New York oder New Orleans kommt, kann er hingehen, wo es ihm beliebt, und dasselbe Recht nehme ich als amerikanischer Staatsbürger hier auch in Anspruch. Da ist ein Tor. Kommt!“
„Ich stehe für nichts, Käpt'n!“
„Ich aber für alles. Vorwärts!“
Er schritt rasch voran, und ich war gezwungen, zu folgen.
Gleich in der ersten Gasse sammelten sich die Straßenjungen hinter uns und liefen hinter uns her. In der zweiten Straße begegnete uns ein Leichenzug.
Voran schritten mehrere Männer mit bunten Fahnen und Standarten; dann folgten drei Bahren, auf denen Götterbilder getragen wurden. Hinter diesen kam eine Musikbande, welche auf Flöten, Gongs und Kesselpauken einen bedeutenden Lärm erzeugte. Andere Personen trugen Räucherpfannen, Schwärmer und allerhand kleines Feuerwerk, welches trotz der Enge der Straßen und der Feuergefährlichkeit der Bambushäuser angebrannt wurde. Dann folgte die Totenbahre, an welcher der Sarg, an Seilen schwebend, befestigt war. Hinter dem Sarg schritt ein Bonze, und ein bunt durcheinander gewürfelter Haufen von Leidtragenden bildete den Schluß.
Wir traten zur Seite und drückten uns hart an die Wand des nächststehenden Gebäudes. Dennoch wurden uns finstere Blicke zugeworfen. Der Bonze blieb sogar vor uns stehen. Sein Gesicht hatte einen stumpfen, nichtssagenden Ausdruck.
„Ihr seid Y-jin. Was wollt ihr hier?“ fragte er.
Er hatte diese Frage an den Kapitän gerichtet, welcher ihm am nächsten stand.
„Was sagt er?“ fragte mich dieser.
„Erfragt, was wir hier wollen.“
„Schön, mein Junge!“ Er zog einige von den Zigaretten, welche er noch von der Pagode her in der Tasche hatte, hervor und reichte sie ihm entgegen. „Wir sind gekommen, um dir diese Zigarettang zu gebing.“
Der Mann griff zu.
„Tsing!“
Damit beeilte er sich, seinen Zug wieder einzuholen.
Einige Straßen weiter schallte Musik aus einem Haus.
„Was ist das. Charley? Lest doch einmal diese Überschrift!“
„Jo-schi-siang.“
„Was heißt das?“
„Musik- und Liederpavillon.“
„Hier wird also gespielt und gesungen. Gehen wir hinein!“
„Ich habe mehr Lust, vorüberzugehen. Man weiß nicht, was für ein Publikum wir finden.“
„Publikum? Das Publikum ist mir egal: vor dem Publikum habe ich mich niemals gefürchtet. Vorwärts!“
Der Unvorsichtige ließ sich nicht halten und schritt dem Eingang zu. Dort strömte uns ein nichts weniger als einladender Geruch entgegen, der ganz allein genügt hätte, uns zur Umkehr zu bewegen. Turnerstick aber dachte nicht daran.
Als wir in die Stube traten, sah ich, daß wir in eines der niedrigsten Etablissements geraten
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