Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Jensen
Vom Netzwerk:
sei ihr ganzer Kopf, den sie gleichzeitig leicht auf die Seite neigt, als sei das Ganze ein großes Geschenk, nur für mich. Als solle ich das alles, was sie außen und innen ist, haben. Aber das Schreckliche ist, dass es gleichzeitig so ist, als verschwinde sie für mich, als drücke das alles aus, dass es doch gar nicht ich bin, der sie haben soll. Dass ich, ziemlich bald, in fünf Minuten gar nicht mehr der bin, für den sie den Kopf auf die Seite neigt. Furchtbar: zugleich ganz nah und am Verschwinden!
    Ich sagte, dass es stimmte, ich sagte Robin Hood. Ich sagte zwei Hemden, ich sagte vier Brote, ich sagte 2 Millionen.
    »Hast du 2 Millionen gestohlen?«
    »Die sterben jedes Jahr«, sagte ich. »An Diarrhö.«
    Sie hob den Kopf, neigte ihn zur anderen Seite. Jetzt traf das Licht auf ihr linkes Auge, und das Licht fiel aus dem rechten mir direkt vor die Füße.
    »Das weiß niemand«, sagte ich.
    »Nur ich … jetzt.«
    »Nur du.« Ich sagte nichts mehr. Jetzt war es gesagt, ich konnte nicht allein damit herumlaufen. Ich musste es erzählen. Und zwar Anne. War das dumm? Das war es, sagte ich stumm zu mir. Allen anderen, aber doch nicht Anne. Jetzt ist Schluss. Jetzt geht sie. Aber das tat sie nicht. Sie blieb stehen. Ich blieb stehen. Wir blieben stehen. Asphalt. Licht. Wie schön sie ist, wie sehr fürchtete ich mich. Sie war das Beste in meinem Leben, und ich fürchtete mich auf einmal so sehr. Ich begann zu zittern, erst die Hand, die eine, dann die andere. Dann das linke Bein und schließlich zitterte ich am ganzen Körper.
    »Du zitterst«, sagte Anne.
    Das stimmte. Ein gewaltiger Zitteraal.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte Anne. Still und vorsichtig legte sie eine Hand auf meinen Arm, danach auf meine Schulter, und die Hand drückte mich freundlich. Aber ich zitterte immer weiter.

DAS GESETZ
    Jesus brach das Gesetz. Jesus heilte den Kranken an einem Sabbat . Das Gesetz der Juden war eindeutig: Niemand durfte an einem Sabbat arbeiten. Die Hohepriester, die Schriftgelehrten und die Pharisäer, diejenigen, die die Macht hatten, wurden zornig auf Jesus, und sie beschlossen, ihn zu töten, weil er das Gesetz brach. Und so, das wissen wir, endete es: Jesus wurde getötet.

NEIN
    Nein, Anne ging nicht.
    Anne sagte, es sei falsch. Es sei nicht richtig, von den Geschäften zu stehlen. Anne sagte, dass sie mich verstehe. Dass sie auch finde, es sei entsetzlich und falsch, dass alle diese Kinder sterben.
    »Nur ein einziger Schritt«, sagte ich.
    »Nur ein einziger«, wiederholte Anne. »Der nächste führt direkt in den Sarg.«
    »Nicht in den Sarg«, sagte ich. »Für einen Sarg ist kein Geld da.«
    »Das stimmt«, sagte Anne. »Es geht direkt in die Erde. Kein Sarg.«
    »Und dann vielleicht hinauf zu Gott?«
    Anne schüttelte den Kopf.
    »Nicht hinauf«, sagte sie. »Die bleiben unten in der Erde. Die werden zu Palmen und Büschen und Bäumen.«
    »Und zu Vögeln«, sagte ich. »Die Vögel fressen die Früchte der Bäume. Auf diese Weise kommen sie doch hoch in den Himmel.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Anne. »Ich weiß nicht, was wir tun sollen.«
    Ich wusste es: Ich wollte weitermachen, ich konnte nicht einfach so tun, als wäre nichts. Jede Minute: Der zweite Schritt ist der letzte, direkt in die Erde. Aber jedes Mal, wenn ich das vor mir sah, sah ich auch die Engel. Die kamen ganz von allein. Sie waren weiß, die Flügel waren weiß, sie strahlten, sie leuchteten, als wären sie ganz aus Licht. Und jeder Engel, und da waren Tausende Engel, jeder Engel ergriff ein totes Kind und flog damit hoch in den Himmel.
    »Nein«, sagte Anne. »Die bleiben unten in der Erde.«
    Dann, dachte ich, dann ist es noch wichtiger, dass ich helfe. Dann ist es noch schrecklicher.

ABER
    »Aber irgendwann«, sagte Anne. »Irgendwann, vielleicht bald, wirst du doch entdeckt. Das ist immer so. Und dann?«
    Das wusste ich. Ich war doch nicht dumm. Mir war sehr wohl klar, dass ich entdeckt werden würde, dass es der Richter erfahren, dass es mächtig viel Ärger geben würde.
    Ich wusste nicht, was dann passieren würde.
    Vielleicht schickte mich der Richter aufs Internat. Davon hatte er schon vor einigen Jahren gesprochen. Vielleicht, vielleicht …
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Vielleicht wäre es das Beste aufzuhören«, sagte Anne.
    »Ja, das wäre es«, sagte ich. »Aber ich kann nicht. Ich muss helfen. Einer muss, verdammt, einer muss helfen. Die sterben, jetzt, in diesem Augenblick.«
    Ich schwieg. Dann rief ich:

Weitere Kostenlose Bücher