33 Cent um ein Leben zu retten
schnappt sich der Richter forsch einen Turm.
»Gut gegangen«, sage ich.
Er nickt. »Noch zwei Züge, und der Springer ist erledigt.«
Er bleibt sitzen.
Ich bleibe stehen.
Internetbanking. Dann geht er auf die Seite der Internetbank.
All die Konten. 13.
All das Geld. Woher kommt das?
Millionen.
Klar: Er arbeitet die ganze Zeit. Immer Meetings, immer. Ich glaube, die Arbeit im Büro des Richters ist das wenigste. Leitungsgremien, Verbände, Beratungen. Das Geld strömt herein. Hat er selbst den Überblick über alles? Jetzt lacht er laut. Er hat sich bei seinen Aktien eingeklickt. Die Kurse sind gestiegen. Mit seinem Füller deutet er auf eine gezackte Kurve, die das Steigen und Fallen der Aktien zeigt. Ich habe geglaubt, alle Aktien seien gefallen.
Als wenn er meinen Gedanken gehört hätte, sagt er: »Die meisten fallen im Augenblick, es kommt darauf an, die zu finden, die trotzdem steigen, und sie dann zu verkaufen, bevor sie fallen. Das ist ziemlich leicht.«
Das begreife ich nicht. Im Fernsehen sagen sie, dass niemand, niemand voraussagen kann, ob sie steigen oder fallen.
Ich weiß alle seine Passwörter.
Er hat etwas über 2 Millionen, mit denen er jongliert.
Heute Abend ist die Lehrerin guter Laune: »Pass auf!«, ruft sie.
Er lacht laut. Heute Abend wird er nichts im Gesetzbuch nachschlagen. Sie ist gesetzestreu. Sie gehen früh zu Bett.
2 Millionen. Und 250 646.
Das entspricht einem Tag Essen für 6 820 142 Kinder. Wie viele, die bald an Unterernährung sterben, könnten gerettet werden?
68 201.
Das ist leicht: klick klick klick klick … und das Leben von 68 201 Kindern ist gerettet.
Du sollst nicht stehlen, das achte Gebot.
Ist der Richter Sheriff?
Bin ich Robin Hood?
In diesem Moment … in diesem Moment sterben sie. In diesem Moment der zweite Schritt, nicht unter den Himmel und die Bäume, sondern in den Tod. Direkt hinein.
Aber ich überweise kein Geld.
SING VON DEN ENGELN
Anne: »Sing von den Engeln.«
Wir sitzen zwischen lauter Plunder im Lager des Coop.
Anne glaubt nicht an Engel oder an Gott oder Jesus. »Gut«, sagt sie, »ich glaube, er war da unten in Jerusalem unterwegs und diskutierte mit anderen weisen Männern.«
Da singe ich. Keinen Song aus den Top Ten oder den Oldie-Charts oder von einer anderen Hitliste in Dänemark mit Liedern, die auch meine Großmutter gern hört. Mein Song ist jedes Mal anders. Den mache ich selbst. Die Worte und die Melodie:
»Haben sie weiße Handschuhe an?
Heben sie den Jungen auf, wenn er stirbt?
Wedeln sie die Fliegen weg von seinem Mund?
Öffnen sie seine toten Augen?
Hauchen sie Leben in seine toten Finger,
in seine Beine, und laufen sie nach drinnen
zum Gabentisch im Paradies bei Gott?«
Anne lächelt, sie lehnt sich an einen Container voll mit Mineralwasser. Sie lächelt immer weiter: »Wie schön du singst! Ich wünschte, du hättest recht, dass sie wirklich dort zwischen den Wolken stehen und sie in dem Moment, wo sie sterben, in Empfang nehmen.«
»Vielleicht«, sage ich. »Vielleicht tun sie’s.«
Kurz darauf fahre ich fort: »Vielleicht ist es ja so, dass das, was man denkt, auch stimmt.«
Anne lacht, aber anders als vorhin: »Wenn es so leicht wäre, dann könnten wir doch einfach denken, dass von nun an kein Kind verhungert.«
Das stimmt. Denken allein reicht nicht.
Ich sage nicht, dass ich heute acht Kinder vorm Sterben gerettet habe. Ich und das Kaufhaus Magasin.
LETZTES JAHR
Letztes Jahr starben 750 000 Kinder in Afrika an Diarrhö. Das sind 2000 jeden Tag. Nichts auf der Welt ist leichter, als ein Kind zu heilen, das Diarrhö hat. Das kostet 5 Cent. Und dann gibt es auch noch Malaria. Die bringt in Afrika eine Million Kinder im Jahr um. Was für eine Scheiße!
JETZT WEISS SIE ES
Anne wusste nichts.
Jetzt weiß sie es. Ich konnte nicht anders, ich musste es ihr erzählen, obwohl ich Angst hatte. Würde sie dann gehen? Von mir weggehen? Nicht mit mir gehen? Ich bin ein Dieb, so wie Robin ein Dieb war, besonders in einem der Bücher. Aber der Dieb, das ist doch der Sheriff von Nottingham. Das habe ich mir selbst mindestens hundertmal erklärt und auch meinem Vater und Sara und meiner Mutter und allen in der Klasse und Anne auch. Aber keiner von ihnen, auch nicht Großmutter, wusste, dass ich ein Dieb war.
»Wirklich«, sagt Anne und verzieht die Augenbrauen wieder so, dass mir ganz schwindlig wird. Es ist, als fiele Licht in ihre Augen und ströme gleichzeitig aus ihren Augen heraus. Es ist, als
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