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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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bisschen allein, und da dachte ich mir, du bist ja wahrscheinlich auch allein, und dann wäre eine kleine Geschichte für uns beide gut.«
    »Ja! Bitte! Ich sterbe hier vor Langeweile. Wir haben nur eine Glotze im Zimmer, und die Damen schalten von einer Horrorsendung zur nächsten, und zwischendurch schlafen sie ein, und ich schalte dann um, und immer, wenn ich umschalte, wachen sie auf und bekommen diese widerlichen Hustenattacken und schauen mich böse an. Ich will hier raus, Ella. Erzählst du mir bitte was von dieser wilden New Yorkerin, die so viel gesoffen und einen Kerl nach dem anderen flachgelegt hat, damit ich auf andere Gedanken komme?«
    »Nein, das geht heute nicht, aber von einer anderen tollen Frau kann ich dir was erzählen, einer Kämpferin mit dem schönen Namen Zora Neale Hurston.«
    »Los!«, rief Natalia.
    »Zora war auch Amerikanerin und Schriftstellerin, aber ganz anders als Dorothy. Eher Rum als Champagner.«
    »Klingt gut«, sagte Natalia.
    »Also, wie ich schon sagte: Zora war eine Kämpferin, die sich ihr ganzes Leben lang selbst aus dem Schlamassel gezogen hat.«
    Natalia seufzte.
    »Zora kämpfte für ein selbstbestimmtes Leben und für die Emanzipation der schwarzen Frauen in Amerika. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde sie in Alabama in eine stolze schwarze Familie hineingeboren und war schon als Kind ein Energiebündel und eine Schlaubergerin, die am liebsten auf einem der hohen Paradiesbäume in ihrem Garten saß und in die Welt hinausschaute. Der Horizont hatte es ihr angetan, und sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein schönes schwarzes Reitpferd mit Zaumzeug aus weißem Leder, mit dem sie bis ans Ende der Welt reiten konnte. Sie wollte unbedingt wissen, wie es dort aussah, am Ende der Welt. Doch was bekam sie statt eines Reitpferds? Puppen, und zwar eine nach der anderen. Und warum? Weil ihr Vater Angst hatte, dass es ein böses Ende mit seiner wilden Tochter nehmen würde, dass die Weißen ein aufmüpfiges Wesen wie sie am nächsten Galgen aufknüpfen würden. Doch was sollte jemand, der ans Ende der Welt reiten wollte, mit einer Puppe anfangen oder gar mit mehreren? Die Dinger mussten immer nur herumgeschleppt werden – war das langweilig!
    Ihrer Mutter hingegen gefiel Zoras Wesen, und sie wollte ihr den Mumm auf keinen Fall ausbleuen, wie sie sagte, sondern war überzeugt davon, dass Zora mal ein Mordserfolg werden würde. Und so wurde es ja auch, nur dass die Mutter das leider nicht mehr miterleben durfte. Die Mutter starb, als Zora neun war, und von nun an zogen haarige Zeiten auf. Erst einmal bekamen Zora und ihre zahlreichen Geschwister eine Stiefmutter vor die Nase gesetzt, die ihrem Ruf alle Ehre machte, dann musste Zora das Haus verlassen. Da war Zora gerade vierzehn und wollte unbedingt zur Schule gehen. Doch genau das war das Problem, Schule kostete Geld, und das musste sie ab jetzt selbst verdienen. Sie kämpfte sich also die nächsten Jahre alleine durchs Leben, immer auf der Suche nach einer Arbeit, die genug einbrachte, um weiter die Schule zahlen zu können. Nach längeren Anstellungen als Garderobiere einer Wanderbühne und Fußpflegerin in einem Friseursalon hatte sie es endlich geschafft: sie schloss nicht nur die Schule ab, sondern auch noch ein Studium bei dem berühmtesten Anthropologen seiner Zeit, Franz Boas. Von ihm bekam sie dann auch ein Stipendium, um die Kunst und das Brauchtum der Schwarzen in den Südstaaten zu erkunden. Sie betrieb ihre Forschung mit großem Erfolg, unter anderem über den Voodoo-Kult in der Karibik, wurde selbst eine berühmte Anthropologin, aber das reichte ihr nicht.«
    »Voodoo? Respekt!«, sagte Natalia.
    »Denn Zora wollte über was anderes schreiben, sie wollte sich nicht auf die Südstaaten-Folklore beschränken und noch weniger auf das Rassenproblem, auch wenn das von den Intellektuellen ihrer Hautfarbe zu dieser Zeit erwartet wurde, oder vielleicht gerade deswegen. Sie wollte Romane schreiben, darüber schreiben, was einen Menschen dazu bewegt, dies oder das zu tun, egal welcher Hautfarbe. Und das tat sie dann auch und wurde so zu einer der Lichtgestalten der Harlem Renaissance , einer der wichtigsten und einflussreichsten schwarzen Künstlerbewegungen ihrer Zeit. Dass sie nichts vom typischen Täter-Opfer-Schema hielt und es sowieso schon immer abgelehnt hatte, sich selbst als Opfer zu stilisieren, kannst du dir wahrscheinlich schon vorstellen.«
    »Wie wir, oder?«, fragte Natalia.
    » Ich gehöre nicht zu

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