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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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ihr linkes Lid zeigte. Horowitz versuchte seinen Blick zu zügeln, aber der Pfeil zeigte ihm unmissverständlich, wo es langging, und schon war er erneut in diesen Augen gelandet. Er sollte jetzt wohl etwas sagen.
    »Haben Sie Kaffee?«, fragte er und hatte das Gefühl, er hätte keine unpassendere Frage stellen können.
    Sie lächelte, antwortete aber nicht, schloss die Lider einmal und öffnete sie wieder. Zwinkern nannte man das, dachte er, zwinkern.
    »Natürlich haben Sie Kaffee, Sie sind ja sogar eins. Ich meine… nicht Sie direkt, sondern…«
    Die Blonde lachte und machte keinerlei Anstalten, ihrer Arbeit nachzugehen. Wenn sie nicht bald anfing, ihre Kaffeemaschine in Gang zu setzen, würde er sich um Kopf und Kragen reden. Sie schloss noch einmal die Lider und öffnete sie wieder. So zwinkert man doch nicht, dachte er, so zwinkert doch niemand!
    »Und was sind Sie, wenn ich kein Kaffee bin?«, fragte sie mit einem hinreißenden Akzent.
    »Ich?«, fragte er und dachte dabei: Das war Schwedisch. Diese Frau hier ist Schwedin, auch das noch, wie in den siebziger Jahren, da waren auch alle Schwedinnen…
    »Sie sind also kein Kaffee«, sagte sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Dann kann ich Ihnen ja einen machen«, sagte sie.
    Er nickte.
    »Und?«, fragte sie und lächelte noch immer.
    »Und?«, flüsterte er und räusperte sich.
    »Mit Schaum oder ohne Schaum?«
    Mit Schaum!, dachte er. »Mit Schaum«, sagte er.
    Sie nickte, senkte den Blick und begann ihm einen Kaffee mit Schaum zu machen.
    Er atmete aus und drehte sich um. Der Blick des jungen Manns mit den lackierten Fingernägeln traf ihn, der junge Mann lächelte ihn an. Dann nahm Horowitz seinen Kaffee aus den Händen der Schwedin entgegen, die auch noch feingliedrige Finger und wunderschöne Fingernägel mit blassrosa Monden besaß. Horowitz schaute sich nun die vier Fotos an den Wänden genauer an. Die Straßen und Wege auf den vier kleinen, gerahmten Fotografien trugen alle denselben Namen: Paradiesweg . Vier verschiedene Paradieswege an einer öden Kreuzung, in einer Wohnsiedlung, einem Feldweg und einer Geschäftsstraße. Paradiesweg.
    Als er wieder auf seinem blau-weiß gestreiften Kissen saß, legte der junge Mann sein Magazin zur Seite und fragte: »Sind Sie Tourist?«
    »Ja«, sagte Horowitz.
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Charlottenburg«, sagte Horowitz.
    Der junge Mann lachte: »Dann sind Sie Tourist.«
    Sie schwiegen.
    »Und warum trinken Sie Ihren Kaffee in Mitte, können die Charlottenburger keinen Schaum?«
    »Ich…«, Horowitz zögerte, ein bisschen ungewohnt war das schon, sich mit einem fremden jungen Mann zu unterhalten, »ich wohne jetzt für eine Weile hier.«
    Der junge Mann schaute ihn erstaunt an.
    »Ich habe meine Wohnung getauscht. Mit einer jungen Dame, die für eine Zeit in meiner Wohnung wohnen wird.«
    Der Blick des jungen Mannes weitete sich: »Warum? Ich meine, warum tauschen Sie Ihre Wohnung? Das wäre mir viel zu intim.«
    »Zu intim?«, fragte er und dachte: Bei mir ist es genau andersherum, mir ist meine eigene Wohnung zu intim.
    Horowitz schaute aus dem Fenster.
    »Ihnen ist es also nicht zu intim?«, fragte der junge Mann lächelnd.
    »Im Gegenteil«, sagte Horowitz.
    »Aha«, sagte der junge Mann.
    Sie schwiegen eine Weile, dann setzte Horowitz noch einmal an. Er bekam jetzt mehr und mehr Lust auf dieses Gespräch: »Kennen Sie das nicht? Dass Sie sich auf eine Version Ihres Lebens festschreiben lassen, obwohl man die ganze Geschichte auch anders erzählen könnte?«
    Der junge Mann überlegte, dann sagte er: »Mein Vater ist Schlosser. Er weiß, was ein Mann ist. Ich bin keiner.«
    Horowitz überlegte, die Antwort überraschte ihn. Ob es das war, was er meinte?
    »Was war Ihr Vater?«, fragte der junge Mann jetzt.
    »Mein Vater?«, fragte Horowitz. Nach seinem Vater war er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefragt worden.
    »Mein Vater war Säufer, ein eleganter Säufer, aber Säufer. Ich bin in Südrhodesien groß geworden, dem heutigen Simbabwe, und danach an lauter verschiedenen Orten. Es war furchtbar, mein Vater hasste die Fremde und weigerte sich trotzdem, nach Deutschland zurückzugehen. Er hasste seine Heimat und alles, was er nicht kannte. Und mein großes Pech war: Ich sah nicht aus wie er.«
    »Und?«
    »Und?«
    »Sind Sie ein Mann?«
    »Ein Mann?« Horowitz rieb sich den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Ich trinke nicht, ich habe keine Kinder, ich habe das Militär geschmissen, mein Erbe verbraten, danach

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