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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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überhaupt kein Problem, wenn schon, dann bringt es Probleme mit sich, und die manchmal nicht zu knapp.« Jasmin hielt kurz inne, dann fuhr sie fort: »Aber ich habe nach unserem letzten Gespräch trotzdem nachgedacht, und ich glaube, ich reime mir meine Wirklichkeit genauso zusammen wie du, nur dass ich eben was ganz anderes will. Wir wollen uns beide nicht mehr allein fühlen, und wir wollen beide ein anderes Leben haben als früher. Nur willst du dir dafür eine Wirklichkeit erschaffen, und ich finde diesen Gedanken einfach nur anstrengend. Ich will eine Wirklichkeit vorfinden und mit ihr umgehen, anders umgehen, als ich das aus unserer Kindheit kenne. Dass ich mir damit vielleicht auch etwas vormache, kann sein, aber das ist mir vollkommen egal. Ich fände es grässlich, neben allem anderen auch noch für die Wirklichkeit verantwortlich zu sein. Und du findest das befreiend, oder?«
    Ella nickte: »Ja, bei mir ist es genau umgekehrt.«
    »Neulich habe ich übers Sterben nachgedacht, weil es mich beruhigt, mich mit den unangenehmen Seiten der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Ich hab einfach weniger Angst, wenn ich der Realität ins Auge blicke, und sterben, sterben müssen wir alle ganz alleine, vor diesem Moment bin ich lieber gewappnet. Du begegnest deiner Angst vielleicht, indem du dir ausmalst, wie du in den Armen eines Liebhabers, im Schlaf oder gar nicht sterben wirst. Und weißt du was? Am Ende sind wir wahrscheinlich beide gleichermaßen unvorbereitet und einsam.«
    »Jasmin, du wirst nicht…«
    »Ist schon gut, so meinte ich das gar nicht. Ich hab jetzt gar nicht über meine Krankheit gesprochen. Was ich meinte, ist, dass wir uns die Dinge, die wir erlebt haben, anders erzählen und sie deswegen auch anders waren. Das ist mir jetzt klar geworden.«
    »Es ist also keine Illusion?«
    »Alles andere ist eine Illusion.«
    »Das sagst du ?«, fragte Ella.
    »Weißt du, worauf ich mich fast genauso freue, wie ich mich auf deinen ersten Arbeitstag gefreut habe? Dass du endlich aufhörst, mich festzunageln.«
    Ella schaute Jasmin erschrocken an. Und plötzlich nahm Jasmin Ella sanft in den Arm und schaukelte sie hin und her. Wie früher schaukelte sie sie hin und her, wie früher, als Ella nicht einschlafen konnte, weil sie Angst hatte vor der Nacht.
    »Erinnerst du dich noch an deinen achtzehnten Geburtstag?«, fragte Jasmin plötzlich. »Weißt du noch, wie furchtbar peinlich Mutters Rede war? Und wie sie dir die große Liebe wünschte?«
    »Ja«, sagte Ella und dachte, dass das die einzige Geschichte war, bei der sich ihre Erinnerungen deckten.
    »Und ist sie da?«, fragte Jasmin dann. »Ist Paul jetzt die große Liebe?«
    Jetzt fing Ella doch an zu weinen.
    »Ella, was ist denn? Was ist denn passiert?«
    »Letzten Sonntag bin ich zu seinem Laden gegangen, und da hab ich gesehen, wie er auf offener Straße seine Frau geküsst hat. So wie Mann und Frau sich küssen, die miteinander schlafen, so wie er und ich uns küssen.«
    »Seine Frau?«
    »Das ist noch nicht mal das Schlimmste.«
    »Sondern?«
    »Das Schlimmste war, dass ich eigentlich schreien wollte oder weglaufen, und dass ich nichts dergleichen getan habe, sondern sofort mit ihm geschlafen.«
    »Und?«
    »Ich wollte das gar nicht, aber dann dachte ich, wenn ich jetzt was sage, dann wird’s wahr, und wenn ich nicht darüber spreche und wir miteinander schlafen, dann kann ich es irgendwie ungeschehen machen.«
    Jasmin schaute sie fragend an.
    »Und seitdem vertraue ich mir nicht mehr. Ich frage mich wirklich, ob es nur meine Wünsche sind, die alles aufrechterhalten; und ob diese Wünsche sich inzwischen so weit verselbständigt haben, dass ich Dinge tue, die zu meinen Wünschen passen, aber nicht mehr zu mir; dass ich also Dinge tue, die ich eigentlich gar nicht will.«
    Plötzlich klingelte es in Jasmins Tasche, und eine Computerstimme rief: »Guten Morgen! Es ist Zeit aufzustehen!«
    »Oh, nein!«, rief Jasmin aus. »Das tut mir so leid, Ella, aber jetzt muss ich los. Hab mir den Wecker gestellt, damit ich mich nicht verquatsche. Tut mir leid, Ella, aber ich kann heute nicht zu spät kommen, tut mir wirklich leid. Leo und ich feiern heute Abend Versöhnung… Versöhnung wegen eines Abends!«
    »Natürlich, geh!«, sagte Ella und war fast erleichtert, nicht weitersprechen zu müssen. Als Jasmin ihr Regencape und die Gummistiefel holte, sagte Ella noch: »Und ruf mich an, wenn du mich brauchst«, und beide spürten sofort, wie merkwürdig dieser Satz

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