34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
aus ihrem Mund klang.
»Mach dir um mich keine Sorgen, ruf lieber Paul an! Trau dich mal was, Ella! Du schreibst über mutige Frauen, tauschst deine Wohnung mit einem Wildfremden, stellst das Leben selbst in Frage und hast ansonsten das allergrößte Hasenherz!«
19
Ein paar Wochen nach dem Essen bei Sindbad traten Horowitz und Sibylle aus dem Foyer der Volksbühne und gingen über die Straße in das Café Voss . Sie hatten gerade eine Inszenierung der Kameliendame gesehen, mit der lichterlohen Sophie Rois in der Rolle der hocherotischen, geldgierigen, männermordenden und zuletzt schwerkranken Kameliendame. Sibylle hatte Horowitz während des Stücks immer wieder vor Vergnügen auf den Oberschenkel geklopft und beim Schlussapplaus durch die Zähne gepfiffen.
»So kann es enden«, sagte Sibylle lachend, als sie in dem Restaurant Platz genommen hatten.
»Muss es aber nicht«, sagte Horowitz.
»Ihr junger ariensingender Verehrer sah aus wie ein Putto – hinreißend. Diese Locken, diese glockenklare Stimme, dieser Schmelz. Kein Wunder, dass sie dafür alles riskiert hat.«
»Und du sitzt hier mit mir…«
Sibylle lachte und nahm Horowitz’ Hand.
Sie bestellten Wein.
»Ich war seit Jahren nicht mehr im Theater. Das können wir ab jetzt gerne öfter machen. Wir müssen uns ja nicht immer Stücke mit engelsgleichen jungen Männern ansehen. Oder wolltest du da deswegen unbedingt rein?«
»Nein«, sagte Sibylle und grinste, »nicht nur.«
»Das ist ja beruhigend«, sagte Horowitz.
»Hast du eigentlich genug Geld für uns beide?«, fragte Sibylle, plötzlich in einem anderen Ton.
Horowitz schaute sie fragend an.
»Na ja, vielleicht bin ich der schönen Kameliendame nicht ganz unähnlich. Ich habe nämlich auch Geldsorgen«, sagte Sibylle, »ich meine, wirkliche Geldsorgen.«
Horowitz faltete die Serviette vor sich auseinander.
»Ich kann die Wohnung in München nicht mehr halten. Der Vermieter macht das nicht länger mit.«
Horowitz legte sich die Serviette auf den Schoß.
»Brauchst du Geld?«, fragte Horowitz.
»Mein Gott, das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein! Bist du unromantisch!«, sagte Sibylle. »Es ist wirklich nicht zu fassen. Ich hab dich nicht gebeten, mir einen Schein zuzustecken, ich hab dich nur gefragt, ob du dir vorstellen könntest, mit mir…«, fuhr Sibylle plötzlich ganz leise fort, dann brach sie ab.
Horowitz schaute sie erschreckt an.
»Trinken wir erst mal was«, sagte sie.
Der Wein kam. Sie tranken jeder ein paar Schlucke und schauten aneinander vorbei.
»Ich weiß zwar nicht, was das hier mit uns wird, aber ich weiß noch weniger, was das hier ohne uns werden soll«, sagte sie.
»Es ist Ellas Wohnung«, sagte Horowitz plötzlich wie zu sich selbst.
»Ich weiß«, sagte sie.
»Und ich kann nicht mehr in meine zurück«, sagte er.
»Ja, das sagst du immer wieder«, sagte sie. »Du bist eben nicht wie der schöne Putto. Alles würdest du nicht für mich tun.«
»Kein Putto, kein Scheich«, sagte Horowitz.
»Aber…«
»Aber?«
»Aber vielleicht sollten wir es trotzdem versuchen? Die letzten Wochen waren wunderschön. Auch wenn du ein Kauz bist, mir gefällt das. Außerdem bleibt mir auch nicht viel anderes übrig…«, sagte Sibylle.
»Hast du gerade gesagt, ich sei unromantisch?«, fragte Horowitz und ordnete das Besteck neu.
»So meine ich es ja gar nicht. Ich meinte nur, dass…«
»Ich habe keinen Pfennig mehr«, unterbrach Horowitz sie, »alles verbraten. Meine Schwester hält mich von ihrem Erbe aus. Ich weiß nicht…«
»Deine Schwester?«
»Sie ist ein Drachen.«
Sibylle richtete sich auf: »Drachen liebe ich ja noch viel mehr als Putti!« Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Wir gehen zu deiner Schwester. Frauen halten zusammen, du wirst sehen.«
»Das glaube ich kaum.«
»Weil du dich da nicht auskennst«, sagte Sibylle.
»Und Ella?«, fragte Horowitz.
»Was ist mit Ella?«
»Für Ella wird es schwer zu verkraften sein, wenn gerade du in ihrer Wohnung wohnst.«
»Ella wohnt jetzt in einem Palast. Die soll sich mal nicht so haben. Sie wird es verkraften«, sagte Sibylle und nahm Horowitz’ Gabel. »Ruf deine Schwester an, wir brauchen sie! Wir müssen den Drachen bezwingen, nein, nein, wir müssen ihn bezirzen, ich muss ihn bezirzen.«
»Du hast keine Ahnung, auf was du dich da einlässt«, sagte Horowitz.
»Du ja auch nicht. Gehen wir«, sagte Sibylle.
Sie bezahlten den Wein und traten auf die Straße.
»War das nicht eine tolle Szene,
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