34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata
unter uns auf, welche ich beim ersten Blick kaum für ein menschliches Wesen gehalten hätte. Die Person sah wie eine jener Mißgeburten aus, welche man zuweilen auf Jahrmärkten zu sehen bekommt. Klein, fast wie ein Kind, hatte sie doch die Züge eines alten Weibes. Die Backenknochen standen weit vor und die Augen waren schief geneigt. Auf dem Kopf hatte sie ein dichtes, verworrenes Gestrüpp, welches ich wohl für trockenen, dürren Besenginster, aber nicht für Haare gehalten hätte. Sie war so mager, daß es schien, als ob kein Lot Fleisch an ihr vorhanden sei.
„Daya, du bist es?“ fragte der Frater.
Sie nickte und schlug ein Kreuz.
„Ist dein Mann hier?“
Sie nickte und schlug wieder ein Kreuz.
„So sprich doch!“ forderte er sie auf.
„Gib mir was!“ ließ sie sich nun vernehmen.
„Nachher, Daya! Erst mußt du mir meine Fragen beantworten.“
„Ich weiß nichts!“
„Lüge nicht! Du weißt, ich verzeihe dir das nicht!“
Sie sah mit einem eigentümlichen, affenartigen, dummdreisten Gesicht zu ihm auf und antwortete:
„Du vergibst alles, du bist gut!“
„Du hast noch nicht gesehen, daß ich zornig zu werden vermag, kannst es aber heute sehr leicht erfahren. Waren heute Männer bei euch?“
„Ich weiß es nicht.“
„Hm! Ich sehe wohl, daß ich dir etwas schenken muß. Was willst du denn haben?“
„Daya braucht einen schönen, glänzenden Knopf für ihr Kleid.“
„Du sollst einen haben.“
Er schien auf dergleichen Wünsche seiner Bekannten genügend vorbereitet zu sein, denn er zog einen Beutel aus der Tasche und gab ihr einen blankgeputzten Messingknopf, den sie sofort an einen Faden nahm und mit Hilfe desselben an ihr ‚Kleid‘ befestigte. Dabei funkelten ihre Augen vor Vergnügen, und ihr Gesicht nahm einen kindlich-fröhlichen Ausdruck an, welcher einen fast zu rühren vermochte.
„Bist du nun zufrieden?“ fragte der Bruder.
„Ja, ich bin zufrieden, und du bist gut.“
„So sei auch du gut! Wirst du mir die Wahrheit sagen?“
„Daya sagt dir keine Lüge.“
„Waren heute Leute da?“
„Nein.“
„Gar niemand?“ fragte er dringlicher.
„O ja. Ein Mann.“
„Siehst du, daß du vorhin die Unwahrheit sagtest! Kanntest du den Mann?“
„Nein.“
„Kam er gegangen oder geritten?“
„Er war auf einem Pferd.“
„Wie war er gekleidet?“
„Wie ein weißer Señor. Er hatte eine Lanze.“
„Gut. Sprach er mit dir?“
„Nein, sondern mit Petro.“
„Also mit deinem Mann. Was sagte er denn?“
„Ich hörte es nicht.“
„So weißt du nicht, was er gewollt hat?“
„Ich weiß es. Meinen Mann wollte er.“
„So ist er mit ihm fort? Wohin?“
„Sie sagten es nicht.“
„Hm! Wann wollte Petro wiederkommen?“
„Auch das sagte er nicht.“
„Wann war es, als dieser Mann bei euch war?“
„Es war noch nicht dunkel.“
„Hast du denn keine andern Männer gesehen?“
„Nein.“
„Hast du vielleicht einmal einen Mann gesehen, welcher Enrico Cadera heißt?“
„Nein.“
„Oder einen, welcher Major ist?“
„Auch nicht.“
„Hat Petro nicht zu dir von zwei Männern gesprochen, welche gefangen sind?“
„Er sagte nichts.“
„Nun, so sage mir wenigstens, ob du einen Ort am Fluß kennst, welcher die Península del crocodilo heißt!“
„Den weiß ich.“
„Wo liegt er? Weit oder nahe von hier?“
„Nicht weit.“
„Kannst du uns dorthin führen?“
„Ganz leicht.“
„So wirst du uns jetzt dorthin bringen, aber so leise, daß niemand es hört.“
„Daya wird hingehen und nachsehen, ob wer da ist.“
„Gut! Wenn du aber nun deinen Mann dort findest?“
„Darf er mich sehen, Bruder?“
„Nein.“
„So werde ich ganz heimlich sein.“
„Das verlange ich von dir. Schau, wenn du deine Sache gut machst, schenke ich dir auch noch diesen Knopf.“
Er zog einen zweiten Messingknopf aus der Tasche. Die Indianerin ließ einen Ruf des Entzückens hören und sagte:
„Daya wird den Knopf bekommen. Sie geht. Niemand wird sie hören oder sehen, selbst Petro nicht.“
Sie huschte leicht wie eine Fledermaus zur Tür hinaus und verschwand im Dunkel der Nacht. Der Frater ließ die Schilfmatte herab, welche den Zweck hatte, den Eingang zu verdecken.
„Ihre Daya scheint nicht sehr verläßlich zu sein?“ fragte ich.
„Sie ist es, wenn man nichts verlangt, was über ihr Begriffsvermögen geht. Sie ist verwahrlost, halb Weib, halb wilde Katze. In diesen Sümpfen ist sie daheim, und ich bin überzeugt, daß ihr
Weitere Kostenlose Bücher