34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata
herzlich willkommen hatte, mochte an die vierzig Jahre alt sein; ihr Mann vielleicht zehn Jahre älter. Beide trugen sich heimatlich gekleidet, ungefähr wie die Leute im Fichtelgebirge. Die Frau hatte offene, lebhafte Gesichtszüge, in denen aber ein Zug der Trauer lag. Der Mann war von behäbigem Aussehen, wie einer, welcher von sich sagen kann: ‚Ich bin kein reicher Mann, aber was ich brauche, das habe ich, und sogar alle Wochen zwei Groschen mehr!‘ Das andere Frauenzimmer, welches mit vor dem Tor gestanden hatte, war eine Dienstperson indianischer Abstammung. Sie war nicht mit in der Stube geblieben, sondern durch eine zweite Tür gegangen. Das Klirren von Tellern und dergleichen verriet mir, daß dort die Küche liege.
So waren wir zu vier Personen. Während Wirt und Wirtin die Stühle an den Tisch schoben, sagte der Frater:
„Meinen Namen kennen Sie, Señor. Ich muß Ihnen denjenigen unseres Ranchero sagen, damit Sie wissen, bei wem Sie sich befinden. Sie sind nämlich bei zwei Landsleuten, bei Señor und Señora Bürgli.“
„Ah, Sie stammen aus der Schweiz?“ fragte ich den Ranchero. „Ihr Name läßt es erraten.“
„Sie vermuten das richtige.“
„Und Señora ist auch eine Schweizerin?“ Ich sprach spanisch, da ich nicht erwarten konnte, daß der Frater deutsch verstehe.
„Nein. Sie ist eine Thüringerin aus der Gegend von Arnstadt“, lautete die Antwort.
„Das habe ich mir nicht gedacht. Ein Schweizer ist hier in der Banda oriental keine Seltenheit, aber daß ich hier am Rio Negro eine Thüringerin treffen würde, das konnte ich nicht erwarten, noch dazu eine Thüringerin, welche mir das Leben rettet!“
„Oh, so schlimm wird es nicht gewesen sein, Señor!“ meinte sie.
„Doch! Hätten die Bolas mein Pferd gelähmt, so wäre ich verloren gewesen. Man hätte mich erschossen.“
„Wegen Landesverrates?“
„Ja, und wegen Mordes. Zufälligerweise aber war ich derjenige, welcher ermordet werden sollte.“
„Zürnen Sie mir, wenn ich Sie bitte, uns Ihre Erlebnisse mitzuteilen?“
„O nein. Sie haben ein Recht, es zu erfahren.“
Ich erzählte, was ich in den wenigen Tagen erlebt hatte, von dem Augenblick an, an welchem ich vom Schiff gegangen war, bis jetzt. Sie waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als ich geendet hatte, sagte der Bruder:
„Eigentümlich! Es hat nicht ein jeder das Glück oder das Unglück, in so kurzer Zeit so viel zu erleben wie Sie, Señor. Sie befinden sich wirklich in Lebensgefahr.“
„Wüßte ich nur, wer mir diese wütenden Bolamänner auf den Hals geschickt hat!“
„Vielleicht erfahren wir es noch.“
„Ich habe Rixio in Verdacht.“
„Ich auch. Übrigens kann es Ihnen, da Sie so schnell weiter und sich hier nicht verweilen wollen, eigentlich gleichgültig sein, wem Sie diese gefährliche Belästigung zu verdanken haben. Die Hauptsache ist, daß Sie von derselben erlöst werden.“
„Das wird schwerfallen.“
„Ich hoffe, daß es mir gelingen wird.“
„Und ich denke, daß sie draußen warten werden, bis ich den Rancho verlasse.“
„So bleiben Sie hier, bis ihnen die Geduld ausgegangen ist!“
„Das wäre schön!“ stimmte die Señora bei. „Sie würden dadurch bei uns eine große Freude anrichten, trotzdem wir jetzt eine große Trauer im Haus haben.“
„Ja, den Sterbenden?“ fragte ich.
Ihre Miene verdüsterte sich.
„Es ist ein Oheim von mir“, sagte sie leiser. „Hören Sie ihn nicht draußen in der anderen Stube?“
Ich hatte wohl mehreremale ein unterdrücktes Ächzen und Stöhnen gehört, aber nicht darauf geachtet.
„Ist er sehr krank?“ fragte ich.
„An Leib und Seele“, antwortete sie. „Leiblich kann er nicht genesen; es sind ihm wohl nur noch wenige Tage beschieden, vielleicht nur Stunden. Und doch ist die andere Krankheit noch schlimmer, denn er will den Arzt nicht zu sich lassen und von keiner Arznei etwas wissen.“
„Das ist freilich traurig. Ist er vielleicht ohne Glauben?“
„Das eigentlich nicht. Aber es scheint ihn etwas schwer zu drücken, irgendeine Schuld oder sonst eine Last, welche er vor seinem Tod von sich abwälzen möchte, ohne doch den Mut dazu zu haben. Er hat sich viel im Westen, im Gebirge umhergetrieben. Womit er sich da beschäftigte, wissen wir nicht genau. Er sagt, daß er nach vorsündflutlichen Tieren grabe. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen gesammelt, mit welchem er für uns diesen Rancho kaufte. Er befindet sich fast das ganze Jahr in den Cordilleren und kommt nur
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