34° Ost
zu erhalten. Aber wie Admiral Ainsworth erst jetzt mit Entsetzen erfahren hatte, war das Staatsoberhaupt der USA schon lange von einem schweren Leiden befallen, der Parkinsonschen Krankheit. General Marty hatte ihm diese Diagnose privat und streng vertraulich eröffnet, weil er meinte, der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs müsse alle Faktoren kennen, die den Tod des verletzten Präsidenten herbeiführten.
Sofort nach General Tates Meldung über die Unterbrechung der Funkverbindung mit Vizepräsident Bailey hatte Ainsworth Weisung gegeben, den ›Fall Leerlauf‹ auf den aktuellsten Stand zu bringen, und Dr. Brown war mit löblicher Eile im Telekommunikationszentrum der US Navy in New London erschienen, um den Admiral und dessen Stab via Satellitenrelais zu informieren. Die Prognose des Experten: Falls die USA tatsächlich für einen längeren Zeitraum als zweiundsiebzig Stunden ohne Führung blieben, würde die Versuchung des Gegners, diese Chance zu einem Überraschungsschlag gegen die NATO und das nordamerikanische Festland zu nützen, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffs sprunghaft auf 1:5 erhöhen.
Im Moment tagte der Kongress nicht, und durch den Tod von Verteidigungsminister Dickinson fiel, zumindest vorläufig, eine Instanz zwischen der militärischen und der nun unsicheren zivilen politischen Spitze aus. Man hätte meinen sollen, dass der Kongress rasch handeln würde, um den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, den Speaker, als amtierenden Präsidenten zu bestätigen – doch rasches Handeln gehörte nicht zu den Eigenschaften dieser Körperschaft. Außerdem war der Präsident noch nicht tot und der Vizepräsident nur unbestimmten Aufenthalts. Fowler Beal besaß viel zuwenig Rückgrat, um Vorwürfe zu riskieren, er habe verfassungswidrige Eingriffe in die höchsten Machtbefugnisse gewagt.
Die rechtlichen Aspekte mußten also gewahrt bleiben, entschied Admiral Ainsworth. Nicht nur aus den gegebenen und praktischen Gründen, sondern vor allem zum Wohl und für die Zukunft des Staates. Es galt, die richtigen Kräfte in Bewegung zu setzen, und dann sollte die Zeit für sie arbeiten. Aber zugleich mußten die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden – und zwar sofort, da der ›Fall Leerlauf‹ nun schon fast eine Realität war.
Auf dem Kontrollpult blinkte ein Lichtsignal auf, und die Stimme des Marineadjutanten Captain Kraft sagte: »Sir, wir haben Verbindung mit dem War Room.«
Ainsworth wandte sich in seinem Drehstuhl dem TV-Gerät zu, das über der hinteren Kabinenwand eingebaut war. Auf dem Farbbildschirm erschien General Armando Rivera, der in Vertretung den Vorsitz über die Vereinigten Stabschefs hatte. Er war ein dunkler hagerer Mann mit einem breiten Spektrum von Banddekorationen über der linken Brusttasche und funkelnden Silbersternen auf den Achselklappen. Ainsworth, ein Erzkalvinist, neigte zur Intoleranz gegen diese Katholiken iberischer Abstammung, eine Regung, die er immer wieder überwinden mußte. Nein, er hatte kein Recht, Rivera abzulehnen. Sogleich schob er seine unklaren Vorurteile beiseite und sagte: »General, wir werden auf meine Verantwortung Alarmstufe Gelb geben.«
Ohne eine Sekunde zu zögern, erwiderte Rivera: »Die Computerbänder laufen, Admiral.«
»Sorgen Sie dafür, dass die Stabschefs im War Room versammelt sind, sobald ich in Washington eintreffe.«
»Im Tiefbunker, Admiral?« Rivera verzog keine Miene.
»Nein, noch nicht. Lassen Sie den Speaker des Repräsentantenhauses von einem Dienstfahrzeug abholen. Falls Sie ihn nicht finden, dann versuchen Sie es unter der bewussten Adresse in Rockville. Ich wünsche, dass Beal bis auf weiteres ständig von einer bewaffneten Eskorte begleitet wird.« Wenn Rivera aus Ainsworth' Besorgnis um die Sicherheit des Speakers darauf schloß, dass der Verdacht eines Komplotts bestand – schön und gut. Nun war der Zeitpunkt einer Bewährungsprobe unter schwerstem Druck gekommen. Beal wähnte sein Liebesnest in Rockville geheim. Das war ein Maßstab für die Naivität dieses Mannes. Ein Schwachkopf. Aber ob dumm oder gescheit, plötzlich war er sehr nahe daran, amtierender Präsident der USA zu werden.
»Wir haben eine offene Leitung nach Es Schu'uts, Admiral. General Tate hat für das amerikanische Kontingent Alarmstufe gegeben. Noch immer keine Verbindung mit der Kolonne des Vizepräsidenten.«
»Ich bin in Kontakt mit Echo Sierra Control«, sagte Ainsworth knapp.
Zum ersten Mal spannten sich Riveras
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