34° Ost
geschehen. Aber was? Donaldson hatte erklärt, er glaube, die Ernennung des Speakers Fowler Beal zum Interimspräsidenten käme praktisch einer Machtübernahme durch den Admiral gleich. Beal war ein Routinier, ein mit Scheuklappen behafteter, brav am Strang ziehender Parteigaul, gewohnt, das zu tun, was man ihm befahl. Wenn ihm weder der Präsident noch der Vizepräsident Weisungen erteilen konnten, würde er eben Direktiven von anderen Autoritäten entgegennehmen. In Washington war allgemein bekannt, dass sich Beal sehr von Militärkreisen beeinflussen ließ. Die Vereinigten Stabschefs dachten nach militärischen Begriffen, gewohnt, Probleme durch die Androhung oder Anwendung militärischer Machtmittel zu lösen. Und sie waren die beschwichtigende Hand des Präsidenten gewohnt. Aber nun, von Admiral Ainsworth aufgewiegelt und vom Weißen Haus nicht zur Besonnenheit ermahnt: Wie würden sie unter solchen Umständen auf Machenschaften der Sowjets oder der Chinesen reagieren, auf ein Komplott mit Mord, Sabotage und Menschenraub, das darauf abzielte, die USA führerlos zu machen?
Die Verfassung sah eine unverzügliche Amtsnachfolge vor, und der Kongress hatte die Regelung dieser Frage bereits vor langer Zeit klar formuliert: Fowler Litton Beal an der Spitze der USA! Das undeutliche Bild einer verwaschenen Persönlichkeit schien zu verfließen wie eine Spiegelung im Wasser – und dahinter tauchten die grimmigen Züge Admiral Stuart Ainsworth' auf, mit seiner Hand – oder war es die Hand Beals? – am Schalthebel des Atomkriegs.
Bill Tate schauderte, als hätte ihn ein kalter Windstoß gestreift. Er drückte die Taste der Gegensprechanlage. Auf dem kleinen Bildschirm erschien Liz Adams' zerquältes Gesicht. Sie hatte Sam Donaldson mit dem Kosmos-Material das Büro des Generals betreten sehen, und nun wartete sie auf das Unvermeidliche. Einen Moment war Tate versucht, sie so ins Verhör zu nehmen und zu bestrafen, wie es ihr schweres Vergehen verdiente. Aber in Wahrheit trug nicht Liz die Schuld an dieser Unterlassung, sondern er selbst. Seine Affäre mit Deborah Zadok war der eigentliche Grund, deshalb hatte Liz durchgedreht. Bill dachte an Deborah, die vielleicht schon tot war oder, schlimmer noch, in ein Wadi tief unten im Süden verschleppt. Er wollte nicht weiter darüber nachgrübeln.
»Captain, die Suchflüge müssen in die entmilitarisierte Zone ausgedehnt werden. Alle Piloten einsetzen«, sagte er und schaltete ab, bevor Liz antworten konnte.
Liz hätte lieber die verdiente Strafe auf sich genommen und seinen Zorn erduldet als dieses unpersönliche formelle Verhalten, in dem sich nur ankündigen konnte, dass sie so rasch und so weit versetzt werden würde, als es die gegenwärtige Krisenlage gestattete.
Aus dem Büro des Generals hörte sie die Stimme eines schwedischen Offiziers, der via TV sehr feierlich erklärte, General Gunderssen, Kommandeur der UN-Verbände auf der Sinai-Halbinsel und Bevollmächtigter für die Zentrale Zone, sei nun zu einem Gespräch mit Major General Tate, Kommandeur des US-Kontingents der Friedenstruppe, bereit.
Sie wurde von Schuldgefühlen überwältigt. Die militärischen Konsequenzen ihrer Unterlassung waren ihr von Anfang an klar, schon als die Funkverbindung zwischen Es Schu'uts und der Gruppe des Vizepräsidenten abriss und sich im Hauptquartier Unruhe verbreitete. Für das, was sie getan hatte, konnte man sie vors Kriegsgericht stellen. Von rasender Eifersucht auf Deborah Zadok getrieben, hätte sie alle drohenden Konsequenzen in Kauf genommen, wenn nur das jüdische Mädchen nicht zurückkehrte. Doch nun hatte sie durch das Zurückhalten der Kosmos-Informationen eine Situation zumindest mitverschuldet, in der sich General Tate gezwungen sah, die Satzungen des Zypernabkommens zu verletzen – Satzungen, denen die Menschen am 34. Längengrad gehorchten wie den Zehn Geboten. Das konnte für Bill Tate nur mit einer persönlichen Katastrophe enden, denn seine charakteristische Entschlusskraft hatte ihn veranlasst, völlig nach eigenem Ermessen zu handeln.
Sie hörte die dünne Stimme des schwedischen Generals aus dem Fernsehgerät, dann den zornigen metallischen Schritt von Tates Fallschirmspringerschuhen und schließlich den lauten Knall, als die Tür seines Büros ins Schloß fiel.
An Bord der Maschine, die als zweite Kommandozentrale der ›Airborne Strike Force‹ diente, hatten Admiral Stuart Ainsworth und dessen Stab soeben eine Lagebesprechung beendet, die über
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