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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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und damit die Aufmerksamkeit von den wesentlichen Geschehnissen abgelenkt hatte. Liz Adams, weil sie Informationen, die den Anschlag hätten verhindern können, nicht weitergegeben hatte; ja selbst den Piloten des Präsidenten, die ihren Passagier nicht unversehrt nach Kalifornien gebracht hatten. Oder Talcott Baileys liberalen Illusionen, seinem Unvermögen, einzusehen, dass gute Absichten allein keinen Schutz gegen üble Machenschaften boten. Tate mochte sich noch so sehr bemühen, Ausflüchte zu finden und die Verantwortung abzuschieben. Doch letzten Endes blieb es ein militärisches Versagen, und diese Tatsache kennzeichnete es als seine persönliche Niederlage. Es war seine Aufgabe gewesen, die Sicherheit von Baileys Kolonne zu gewährleisten. Und das hatte er verabsäumt.
    Salutierend meldete ein Nachrichtenoffizier: »General, die Kameras sind bereit. Wir können jederzeit auf Direktübertragung gehen.« In der allgemeinen Aufregung, die der Entdeckung des Gefechtsfeldes durch den Shrike gefolgt war, hatte Tate vom Vereinigten Generalstab den dringenden Befehl erhalten, eine TV-Verbindung zwischen dem Schauplatz des Überfalls und dem War Room des Pentagons herstellen zu lassen.
    Nun war es fast ein Viertel vor fünf, demnach in Washington 21.45 Uhr. Es mußte wohl ein ernst gestimmtes, stilles, wahrscheinlich von Angst beherrschtes Washington sein: eine Stadt, die soeben von den höchsten Militärs des Staates erfahren hatte, dass unsichtbare Feinde zum Angriff rüsteten, dass diese selben Feinde beim Tod des Präsidenten irgendwie die Hand im Spiel gehabt hatten und dass es geraten sei, Vorkehrungen gegen einen möglichen Atomschlag zu treffen. Diese ganze verdammte Welt schien allmählich verrückt zu werden, dachte Tate. Was Präsident Bailey wohl sagen würde, wenn er jetzt wüsste, dass er für eine folgenschwere Alarmstufe Gelb mitverantwortlich war?
    »Beginnen Sie mit der Übertragung, sobald Sie fertig sind«, sagte er.
    Er hatte Bedenken, diese blutige, schreckliche Szene in die supertechnisierte Sterilität des Pentagons übertragen zu lassen, doch er mußte dem Befehl gehorchen.
    Langsam überquerte er die Straße, ließ das helle Scheinwerferlicht hinter sich und stieg den flachen Hang des Hügels westlich vom Schauplatz des Gemetzels empor. Bevor er die Höhe erreichte, wurde er zweimal von Soldaten der Special Forces angerufen und einmal sogar mit vorgehaltener Waffe zur Ausweisleistung aufgefordert. Die Männer waren bereit zu töten; die verstümmelten Leichen ihrer Kameraden und der Zivilisten unten bei den zerstörten Fahrzeugen waren ihre Rechtfertigung. Tate empfand wie seine Leute – Enttäuschung, Erbitterung und Rachedurst. Doch Rache an wem? Und um welchen Preis?
    Er passierte die letzte der rasch formierten Postenketten auf dem Hügel und blickte zurück. Aus dieser Entfernung wirkten die zusammengeschossenen Wagen wie zerbrochenes Spielzeug. Die Flagge der Friedenstruppe an der Limousine des Vizepräsidenten war kaum mehr erkennbar – ein in Zerstörung und Untergang verlorenes Symbol.
    Einen Moment überließ sich Tate seiner persönlichen Erbitterung gegen Talcott Bailey, dessen selbstgerechte Arroganz zu dieser Stunde des Grauens geführt hatte. Wieder mußte er an Deborah denken, und böse Vorahnungen legten sich auf seine Seele.
    Die Funker unten am Rand des ausgeleuchteten Terrains empfingen eine Meldung. Deutlich trug die klare Luft die Worte bis zum General herauf. Eine der Hubschraubergruppen hatte eine Kolonne gesichtet und hielt sie unter Beobachtung. Der Hoffnungsschimmer, dass es die Abu Mussa sein könnten, schwand, als Tate die Mitteilung des Piloten hörte, es handle sich um sowjetische Fahrzeuge, die sich aus der Zentralen Zone näherten. »Sollen wir sie zum Halten zwingen?«
    In dieser Frage lag ein unheimlicher Unterton von Argwohn und Feindseligkeit. Nach allem, was sich ereignet hatte, war sie nur zu begreiflich. Sofort vergaß Tate seine privaten Probleme; er lief den Hügel hinunter, um den Piloten anzuweisen, die Kolonne unbehelligt zu lassen.
    Wenige Minuten später sah er die Scheinwerfer der herankommenden Wagen. Es waren insgesamt vier: ein sowjetischer Jeep, eine Limousine und zwei planengedeckte Mannschaftstransporter voll Soldaten. Sie bremsten scharf dreißig Meter vor den Wracks. Amerikanische Soldaten liefen herbei und bildeten, mit schussbereiten Waffen, einen lockeren Ring um sie herum. Vom Hang aus stellte Tate fest, dass die sowjetischen

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