34° Ost
nicht allein.
Übrigens wurde noch einer vermisst: Sergeant Robinson. Alle anderen Soldaten der Eskorte waren gefallen. Tate erinnerte sich, dass er Robinson eingeschärft hatte, die Sicherheit des Vizepräsidenten liege bei ihm; vermutlich hatte also Robinson es fertig gebracht, mit Bailey zusammen und am Leben zu bleiben.
Er sah auf seine Uhr. 4.30 Uhr. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Seine Patrouillen und Flugzeuge überwachten den gesamten südöstlichen Teil der Sinai-Halbinsel, aber sie reichten zahlenmäßig nicht aus, und das Gebiet war zu groß und unwegsam. Und was hätte er unternehmen können, wenn er die Gesuchten tatsächlich fand? Schon zu oft hatten die Araber bewiesen, dass ihnen die Ermordung von Geiseln zuzutrauen war. Im Gegenteil: Geiseln im Fall eines Angriffs zu schonen bedeutete, dass die stärkste Waffe, die sie im Kampf gegen eine Übermacht einsetzen konnten, unglaubhaft wurde. Nein, selbst wenn man sie aufstöberte, bevor sie sich mit ihren Gefangenen irgendwo verschanzten, war militärisch kaum etwas auszurichten. Man würde abwarten müssen, bis sie ihre Forderungen stellten, und dann galt es, das Beste aus der Situation herauszuholen – allerdings könnte das Ausmaß dieser Forderungen bei der nun gegebenen Verhandlungsposition der Abu Mussa buchstäblich die Welt erschüttern.
Am anderen Rand des Geländes sah Tate die kleine Abteilung der UN-Verbände, die sich rund um General Gunderssens weißes Fahrzeug postierte. Kraftlos hing an der Antenne des Wagens der hellblaue UNO-Wimpel.
Der schwedische Kommandeur hatte bereits eine Beschwerde beim Zypern-Hochkommissariat eingebracht, weil sich die Amerikaner durch den Einsatz von Flugzeugen und leichten gepanzerten Einheiten ›eine krasse Verletzung‹ der entmilitarisierten Zone zuschulden kommen ließen. In der momentanen Lage war das so grotesk und so ungeheuerlich, dass Tate dem General aus dem Weg gehen mußte, weil er befürchtete, die Beherrschung zu verlieren.
Kurz zuvor hatte der Nachrichtenoffizier gemeldet, dass eine sowjetische Gruppe, bestehend aus Rostow, Ulanin und einigen Sanitätern, in die Zentrale Zone unterwegs war, um ihre Hilfe anzubieten. Natürlich konnten die Russen hier praktisch nicht mehr helfen. In diesem Inferno aus Sand und Wracks gab es nur die Zornigen und die Toten. Doch die Abfolge schrecklicher Ereignisse, die innerhalb von zwei Stunden in den USA lähmendes Entsetzen ausgelöst hatten, schien den Kreml fast ebenso erschüttert zu haben wie Washington. Die Tatsache, dass die USA sofort ihr nukleares Arsenal mobilisiert hatten, erfüllte die sowjetische Führungsspitze mit Besorgnis. Es waren bereits Gerüchte über den Verdacht eines Sabotageaktes an der ›Air Force One‹ im Umlauf – und außerdem gab es diese verräterischen Kosmos-Fotos, die zu beweisen schienen, dass die Sowjets von der Existenz einer Freischärlereinheit im Südteil Sinais gewußt hatten.
Wie Tate die Russen und die slawische Mentalität kannte, die man im Westen nur selten verstand, vermutete er, dass die Entdeckung unwiderleglicher Beweise für den ›Allende‹-Zwischenfall auf den Satellitenfotos in Moskau eine Art Fehlzündung verursacht hatte. Er nahm ganz richtig an, dass die Sowjets in ihrem Triumph, die Amerikaner eines feindseligen Akts gegen ihr Schiff bezichtigen zu können, völlig darauf vergessen hatten, den gesamten Filmstreifen richtig auszuwerten, bevor sie ihn den Israelis zuspielten. Nun sahen sie mit Bestürzung die Ergebnisse solcher Fahrlässigkeit: Alarmstufe Gelb in den USA und ein Aufleben aller längst begraben geglaubten Ressentiments des kalten Krieges. Natürlich mußten sie nun kommen, um ihr Beileid auszudrücken und ihre Unterstützung anzutragen. Und um herumzuschnüffeln.
Und der Mosa'ad? Hatte auch der Geheimdienst der Israelis einen Fehler gemacht, als er Dov Rabin und Deborah Zadok mit dem amerikanischen Vizepräsidenten in die Zentrale Zone entsendet hatte? Doch wie hätten die wissen sollen, dass der amerikanische Kommandeur nicht genug Rückgrat haben würde, um gegen den heftigen Widerstand Baileys die Zuteilung einer ausreichenden Eskorte durchzusetzen? Das hier war das Resultat, dachte Tate, als er das Leichenfeld überblickte. Dies war sein persönliches Inferno, durch das er sein ganzes weiteres Leben lang wandern mußte. Es würde Versuchungen geben, anderen die Schuld zuzuschieben: Trask, weil der durch seine Unbesonnenheit den ›Allende‹-Zwischenfall heraufbeschworen
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