34° Ost
junge Sanitäter sagte einige scharfe Worte zu dem Zivilisten.
»Es tut mir leid, wenn ich dich beunruhige, aber du mußt wissen, was geschah, damit du uns helfen kannst.«
Sarazenen im Haus Gottes! Nein, keine Sarazenen, aber Barbaren, die arme Beduinen aus nichtigen Gründen oder überhaupt ohne Grund töteten. Der Antichrist hatte noch immer finstere Gewalten zu Gebote, selbst in diesem modernen Zeitalter, dachte Anastasius. Christos Pantokrator, Herr der Welt, fege sie hinweg.
»Hör zu«, sagte der Zypriote. »Es ist wichtig – äußerst wichtig! –, dass diese Offiziere erfahren, ob es einen geheimen Zugang zum Kloster gibt. Kann man durch das Ossarium hineingelangen? Führt ein Weg von außen in den Bau?«
Voll Entsetzen dachte Bruder Anastasius daran, dass Soldaten durch die uralten Felsstollen unter den Mauern ins Beinhaus eindringen sollten, um die ewige Ruhe der Mönche zu stören, die seit einem halben Jahrtausend in den dunklen trockenen Gelassen lagen. Er sah bewaffnete Männer die Mumie des heiligen Stephanos rauben und seine ehrwürdigen Knochen in den Staub werfen.
Als Hüter des Ossariums hatte er einen Eid auf die Toten geschworen, so heilig wie das Beichtgeheimnis. Welches Recht hatten diese Männer, die Ruhestätte der in Gott Abgeschiedenen zu entweihen?
Der Amerikaner sprach leise mit dem Zyprioten.
»Was sagt er?« fragte Anastasius.
»Er verspricht, dass er selbst in das Kloster gehen wird, nur mit einem einzigen Begleiter, und dass die Toten nicht gestört werden.«
Erstaunt betrachtete der alte Mönch den amerikanischen Soldaten. Wieso ahnte dieser Mann, welche Gedanken Anastasius bedrängten? War dies etwa ein Zeichen, dass er diesen neuen Kaisern geben sollte, was des Kaisers war?
Der alte Russe begann zu sprechen, zögernd, in schwerfälligem Griechisch: »Wir haben dich gefunden, du warst fast tot. Wir haben nicht geglaubt, dass du am Leben bleiben würdest, Mönch. Aber wir haben getan, was wir konnten, und du lebst. Du bist mit Wundern vertraut, und dass du am Leben geblieben bist, das ist ein Wunder. Wir brauchen noch eines. Hilf uns.«
Anastasius verharrte in Schweigen.
Eindringlich sagte der Zypriote: »Im Namen Gottes, Bruder, die Männer im Kloster haben einen Gefangenen. Sein Tod bedeutet unweigerlich Krieg. Rette den Frieden, hilf uns!«
»Der Wille Gottes geschehe«, murmelte der Greis.
Fowler Beal stand die harte Nervenprobe kaum mehr durch. Seit Stunden bearbeiteten ihn ›seine‹ militärischen Berater, Entscheidungen wurden in ›seinem‹ Namen gefällt, und kraft ›seiner‹ Autorität versetzte man die USA praktisch in einen Kriegsstand.
Der Mann, der schon kaum als Vierziger bei seinen Wählern ›Old Fowler‹ hieß, war keineswegs energisch. Wenn er sich je gegen Widerstände zu behaupten wußte, dann hatte er es mittlerweile verlernt. Doch selbst unter der Patina jener Geschmeidigkeit, die man als langjähriger Kongressabgeordneter brauchte, war seine Intelligenz nicht zu verachten. Und diese Intelligenz sagte ihm mit jeder Stunde deutlicher, dass Admiral Stuart Ainsworth nicht völlig normal war.
Eine Reihe zufällig zusammentreffender Ereignisse schien für den Admiral zum Freibrief geworden zu sein, den Kommunismus auszurotten. Die Vorstellung einer solchen Bereitschaft zur radikalen Endlösung entsetzte Beal.
Dieses Entsetzen wurde durch die Fahrt mit Eskorte zur unterirdischen Kommandozentrale nicht gemildert. Die massiven, explosionsfesten Türen, die auf Stahlfedern gelagerten Komplexe, das Panzerglas und das System für die Zufuhr dreifach gefilterter Frischluft zeigten deutlich, wohin die jetzige Situation führen könnte. Wenn ihm nicht schon diese Umgebung den Ernst der Lage bewußt gemacht hätte, dann hätten die Nachrichtensendungen genügt, die man im Bunker empfing. Seit dem Tod des Präsidenten war die Zivilverwaltung der USA in einen Lähmungszustand verfallen. Dies zeichnete sich immer klarer ab, als die Stunden verstrichen, ohne dass der Vizepräsident erschienen wäre, um der Bevölkerung zu beweisen, dass sich ein reibungsloser Übergang vollzog. Die unteren Ränge der Bürokratie funktionierten noch gut genug, um eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten. Aber die Tatsache, dass es keinen Spitzenpolitiker gab, der die Zügel in die Hand nahm und die Nation sicher durch den Engpass führte, rief bei der Masse der amerikanischen Bürger Bestürzung hervor.
Die anfängliche Verwirrung wurde bald zu einer Massenpsychose von
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