34° Ost
Rostow.
Er verließ die Offiziersmesse und machte sich auf den Weg zum Brückendeck. Dort angelangt, stellte er erfreut fest, dass die gepanzerten Luken geöffnet waren. Eine warme, salzige Brise wehte durch den engen Kontrollraum.
Kommandant Bogdanow, ein großgewachsener, grauhaariger Mann, dessen knochige Magerkeit Rostows Korpulenz noch klotziger erscheinen ließ, salutierte und sagte: »Wir sind fünfzehn Kilometer von ihrer Küste entfernt – da drüben, sehen Sie?«
Rostow blickte hinüber und war enttäuscht. Er wußte selbst nicht genau, was er an dieser von den Amerikanern besetzten Küste zu sehen erwartet hatte: Radartürme und Raketenstellungen vermutlich. Aber außer einem Streifen weißen Sandes, der verschwommen am Horizont lag, war nichts zu sehen. Dahinter, durch die Luftspiegelung seltsam verzerrt, schienen ferne Hügel zu einem Wüstenplateau anzusteigen.
Kommandant Bogdanow spürte die leise Enttäuschung seines hohen Gastes und erklärte: »In Khan Yunis ist nicht viel los, Genosse Rostow. Aus dieser Entfernung kann man nichts sehen. In Es Schu'uts stehen alle militärischen Anlagen im Landesinneren. Nur das Gebäude der amerikanischen Mission werden wir sehen können, wenn die Sicht gut bleibt.« Er wußte, dass Rostow über die amerikanische Architektur eine schlechte Meinung hatte und fügte daher mit leisem Lächeln hinzu: »Man nennt es das Glashaus.«
»Patrouillieren die Amerikaner in diesem Abschnitt, Genosse Kommandant?«
»Nur in unregelmäßigen Abständen, und zwar mit Luftkissenfahrzeugen. Natürlich führen sie landeinwärts Patrouillenflüge durch. Aber für dieses Gebiet ist ihre Sechste Flotte zuständig, die, wie Sie wissen, nach der Unterzeichnung des Abkommens stark reduziert wurde.«
Rostow lehnte sich gegen das Geländer des Splitterschutzes. Seit beschlossen worden war, dass er diese Reise mit dem Schiff unternehmen sollte, hatte er sich auf die frische Luft gefreut, auf das strahlende Herbstwetter im Mittelmeer. Doch die ›Allende‹ hatte kein offenes Deck, das den Passagieren die Annehmlichkeiten einer Seereise vermittelte. Vor und hinter den Decksaufbauten war alles mit Lukengattern und den Vierlingsstartern der Schiff-Schiff-Flugkörper verbaut. Auch die kleine Brücke in der Höhe des Kontrollraums, in dem er sich jetzt zusammen mit dem Kommandanten, dem Rudergänger und der Radarnavigationsmannschaft befand, war kein Promenadendeck. Die ›Allende‹ hatte nur militärische Vorzüge und war eben keine Staatsjacht. Eines der imposantesten Kriegsschiffe auf den Meeren der Welt, konnte man sie den neiderfüllten Amerikanern, Israelis und Ägyptern mit Stolz vor die Nase stellen.
»Wir nehmen den amerikanischen Funkverkehr auf Band auf. Wenn Sie mithören wollen …?«
Rostow nickte zerstreut. Er war jetzt mit seinen Gedanken weit fort und dachte an das bevorstehende Zusammentreffen mit dem amerikanischen Vizepräsidenten, dem er noch nie begegnet war. Bogdanow gab leise einen Befehl an die Gefechtsführungszentrale tief im Inneren des Schiffes, und eine Flut unverständlichen Geschnatters kam aus den Deckenlautsprechern und riß Rostow aus seinen Träumereien.
»Was zum Teufel ist das?«
»Die Amerikaner verschlüsseln ihre Sendungen. Ich weiß nicht, warum«, antwortete Bogdanow.
»Ist das so üblich?«
»Sie machen sich nur selten die Mühe, aber heute tun sie es. Möglicherweise handelt es sich um eine Übung.« Rostows scharfe kleine Augen betrachteten die in die Luke vor dem Rudergänger eingebauten Radar-Monitoren. Nur einer arbeitete, auf niedriger Leistungsstufe, und zeigte die uninteressante, fast gerade Küstenlinie.
»Ist etwas mit Ihren Geräten nicht in Ordnung, Genosse Kommandant?« fragte er. Rostow liebte die See ganz und gar nicht. Er war über das MWD ins Politbüro gekommen. Die Schiffe und die Männer der Marine waren ihm irgendwie unheimlich: Objekte und Menschen, denen man nie ganz trauen durfte.
»Unser Navigationsradar arbeitet jetzt nur auf niedrigster Leistungsstufe, Genosse Rostow. Ich möchte nicht die Aufmerksamkeit der amerikanischen oder israelischen Marineeinheiten in diesem Gebiet erregen.« Diese letzten Worte klangen ein wenig vorwurfsvoll. Kommandant Bogdanow hatte sich für einen direkten Kurs von Latakia nach Alexandrien – weitab von der Zonenküste – ausgesprochen. Rostow aber, dessen Neugier geweckt war, hatte Bogdanows Vorschlag abgelehnt.
»Wir befinden uns doch in internationalen Gewässern, Genosse
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