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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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einer Geschwindigkeit von neunzig Stundenkilometer immer näher. Trask empfand ein herrlich erregendes Gefühl, als er nun die roten Metallklappen auf dem Instrumentenbrett öffnete, um die Waffensysteme des Shrikes scharfzumachen. Kleine Pyrobolzen bliesen die Glaswolleverschlüsse weg, die die Sprengköpfe der Raketen bedeckten. Der Shrike war mit dreißig panzerbrechenden Raketen ausgerüstet, die den Decksaufbau des Kriegsschiffes in Minutenschnelle in einen wirren Knäuel verbogenen, zerrissenen Metalls verwandeln konnten. Das Schiff reagierte fast wie ein Pferd, das in vollem Galopp jäh herumgerissen wird. Es krängte schwer und drehte scharf zur Küste ab. Die Schrauben drehten sich nun im Rückwärtsgang, und das aufgewühlte Wasser türmte sich zu Kaskaden, die als schäumender Gischt an das Heck brandeten. Das Heck drängte noch tiefer ins Meer, und der breite Bug hob sich wie der Kopf eines erschreckten Wals aus den Fluten.
    Trask fühlte eine wilde Freude in sich aufsteigen, als er die Verwirrung auf der ›Allende‹ sah. In diesem Nervenkrieg mit dem unbekannten sowjetischen Kommandanten war er Sieger.
    Eine zornige Stimme mit starkem Akzent brüllte in Trasks Kopfhörer: »Dies ist ein sowjetisches Schiff in internationalen Gewässern! Mit diesem Piratenakt verstoßen Sie gegen die Freiheit der Meere und gegen internationale Abkommen!«
    Als das Schiff nun in einem Halbkreis wendete und zurückfiel, steuerte Trask den Shrike so, dass die Raketen auch weiterhin gegen die Brücke zielten. Aus dem Schiffskörper tauchten jetzt die eingebauten Starter für Fla-Raketen und die dazugehörigen Feuerleitgeräte auf. Trask fühlte die Wellen des Adrenalinschocks verebben. Er spürte leichte Schwäche in Knien und Schultern. Sein Mund war trocken, und die Haut spannte sich über verkrampften Muskeln.
    »Amerikanisches Flugzeug an sowjetisches Schiff«, entgegnete er mit gepresster, aber ruhiger Stimme. »Sie haben sich ohne Erlaubnis in Gewässern aufgehalten, die der Kontrolle des amerikanischen Kontingents unterstehen. Ich bin daher berechtigt, Sie so lange festzuhalten, bis Sie sich zu erkennen gegeben haben. Antworten Sie unverzüglich. Ich wünsche den Namen Ihres Kommandanten, den Namen Ihres Schiffes und Ihren Einsatzauftrag zu erfahren.«
    Es folgte ein langes Schweigen und dann die wütende Antwort: »Ich bin Kapitän Sergej Bogdanow, Sowjetmarine, und ich protestiere …«
    »Den Namen Ihres Schiffes und Ihren Einsatzauftrag, Kapitän«, fiel Trask ihm ins Wort.
    In Bogdanows heiserer Stimme schwangen Zorn und Demütigung. »Dies ist der sowjetische Zerstörer ›Allende‹ auf einer Routinepatrouille von Latakia nach Alexandrien. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich gegen diesen Banditenstreich in internationalen Gewässern schärfstens protestieren werde.«
    »Ich nehme Ihren Protest zur Kenntnis«, sagte Trask. Jetzt, da seine Erregung schon etwas abgeklungen war, sprach er unbeschwerter. »Sie können Ihre Fahrt fortsetzen. Ich rate Ihnen, nicht noch einmal in die Gewässer der amerikanischen Zone einzudringen. Es könnte ernste Folgen haben.«
    »Mit wem spreche ich?« fragte der Russe.
    »Mit Colonel Trask von der Luftwaffe der Vereinigten Staaten, US-Kontingent auf Sinai.«
    »Für diesen Vorfall werden Sie sich noch zu verantworten haben, Oberst Trask!«
    Trask gestattete sich ein kurzes stummes Lachen. Er fühlte eine angenehme Mattigkeit. Keine Frau hätte ihm solche Befriedigung schenken können, wie er sie jetzt empfand.
    Was hätte er wohl getan, wenn die Russen seiner Aufforderung nicht gefolgt wären? Würde er sie angegriffen haben? Wahrscheinlich ja: Autorität war nicht glaubwürdig ohne den Willen, sie durchzusetzen. Vor seinem geistigen Auge sah er die Raketen aus den Waffenstationen schießen, sah die weißglühenden Blitze in das schwarze Schiff einschlagen, sah Metall, Fleisch und blutige Knochen durch die Luft wirbeln und im Versinken das stille Meer aufwühlen …
    Er schob den Handgashebel vor und hielt auf das flache Land zu. Die zornigen Rufe aus dem Funkgerät waren wie Musik in seinen Ohren.

5
    In der Alten Kaserne des Johanniterordens in Nikosia befand sich das Hauptquartier der UNO-Kommission, die für die Erfüllung der Bestimmungen des Zypernabkommens eingesetzt worden war. Um 12.07 Uhr begann der Presseoffizier Kaschi Ravi Singh mit der Ausgabe von vervielfältigten Pressebulletins an die versammelten Zeitungskorrespondenten.
    Bulletin 12/137 enthielt neben

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