34° Ost
fünfzig Divisionen an der chinesischen Grenze stationiert, und es gab viele, die meinten, es sei nur das amerikanisch-sowjetische ›Einvernehmen‹ – was immer es wert sein mochte –, das den Krieg verhinderte. Ob da etwas dran war, wollte Rostow nicht behaupten; für ihn stand fest, dass sich die Chinesen immer noch als Unruhestifter betätigten. Auch wenn es die Amerikaner nicht wahrhaben wollten: nur die Chinesen und die Albanier unterstützten die letzten Reste der arabischen Terroristengruppen.
Nowotny erhob sein Glas und versuchte sich Gehör zu verschaffen: »Auf die sowjetische Kultur!« brüllte er.
Pflichtschuldig tranken alle – außer Rostow und Ulanin.
»Auf die Sowjetunion, unser Vaterland, und auf den Kampf der Völker gegen den Imperialismus!«
Bogdanow und Sacharow machten ein gequältes Gesicht, tranken aber ihren Wein. Die Ägypter folgten ihrem Beispiel.
»Auf unsere tapferen Verbündeten, auf die Vereinigte Arabische Republik!« schrie Nowotny. Seine Worte drohten in selbstgefälligem Beifall der Ägypter unterzugehen. »Auf ihren Sieg über das internationale Judentum!«
»Idiot!« murmelte Jermolow.
»Wassilij Iwanowitsch«, wandte sich Ulanin an den Luftwaffenkommandanten, »gehen Sie mit diesem Hornochsen auf Deck, bevor er noch größeren Blödsinn verzapft.«
Rostow starrte zu Nowotny hinüber. »Benimmt er sich immer so?« fragte er Ulanin.
Der alte General zuckte die Achseln. »Er ist unkultiviert, Genosse Anatolij Igorewitsch.«
Rostow legte die Stirn in Falten. Nowotny hatte auf alle Anwesenden einen denkbar schlechten Eindruck gemacht. Und er hatte ihn zum Nachdenken über die Frage gebracht, wie es wohl – mit solch einem Mann als Chef des Nachrichtendienstes – um die Sicherheit in der sowjetischen Zone bestellt sein mochte. »Genosse General«, sagte er, »ich beneide Sie nicht. Den da am Hals zu haben ist bestimmt kein Vergnügen.«
»Ich habe ihn mir nicht ausgesucht«, entgegnete Ulanin schnaufend. »Aber er tut, was man ihm sagt. In einem militärischen Verband gibt es nicht viel Arbeit für einen Polizisten.«
Rostow kniff die Augen zusammen. Hatte Ulanin vergessen, dass er, Anatolij Rostow, im Großen Vaterländischen Krieg als Hauptmann im damaligen NKWD gedient hatte?
»Mir scheint, dass Wachsamkeit gerade im militärischen Bereich ganz besonders am Platz ist, Genosse General. Berufssoldaten neigen dazu, einen Trennungsstrich zwischen sich und der Masse des Volkes zu ziehen.«
»Die Armee ist immer loyal, Genosse Anatolij Igorewitsch«, erwiderte Ulanin, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Gewiß«, sagte Rostow trocken. Eine andere Antwort war von dem legendären Helden von Stalingrad nicht zu erwarten. Der Mann war alt, möglicherweise krank und politisch naiv.
»Ich habe eine persönliche Botschaft von General Tate erhalten«, fuhr Ulanin fort, »in der er sich für den Zwischenfall mit dem amerikanischen Flugzeug entschuldigt.«
»Eine persönliche Botschaft?«
»Ja. Ein an mich gerichtetes Fernschreiben.«
»Und er gibt zu, dass der Pilot des Flugzeugs eine strafbare Handlung begangen hat und gemaßregelt werden sollte?«
»Nein. Er drückt nur sein Bedauern aus.«
»Messen Sie dieser Geste Bedeutung bei?«
Der Blick des alten Generals war undurchsichtig. »Nun, insofern, als er mich wissen lassen wollte, dass ihm die Sache leid tut.«
»Fürchtet er die möglichen Folgen?«
»Fürchten? Nein, General Tate fürchtet sich nicht so leicht. Ich glaube, dass er den Zwischenfall ehrlich bedauert, das ist alles.«
»Das ist ganz bestimmt nicht alles, Genosse General. In Washington wird ein offizieller Protest überreicht. Und in der Zentralen Zone wird es darüber noch Diskussionen geben.«
General Ulanin blieb stumm.
»Ich glaube, Ihre Gefühle diesem Amerikaner gegenüber sind eher freundschaftlich.«
»Ja. Wenn es erlaubt ist.«
Die Unverschämtheit, die in dieser Antwort lag, überraschte Rostow. Sie war nicht das, was er von einem alten Haudegen wie Juri Ulanin erwartet hätte.
»Sagen Sie mal, Genosse General«, bohrte Rostow weiter. »Was stört Sie eigentlich an den Ereignissen des heutigen Tages?«
Der alte Mann zögerte, schien sich dann zu einem Entschluß durchzuringen. »Es wäre nichts passiert, wenn wir die Amerikaner über die Aufgabe und den Kurs der ›Allende‹ informiert hätten.«
»Sie meinen also, wir sollten die Amerikaner um Erlaubnis bitten, das Mittelmeer befahren zu dürfen?«
»Natürlich
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