34° Ost
nicht. Ich meine nur, dass die Geheimhaltung Ihrer Ankunft dazu beigetragen hat, eine peinliche Situation heraufzubeschwören. Das hätte vermieden werden können.«
»Sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund.«
»Sie haben mich gefragt.«
»Ja, das habe ich.« Der alte Mann war also nicht bereit, den Amerikanern Missachtung der sowjetischen Flagge oder eine andere psychologisch verwertbare Fehlhandlung zu unterschieben.
»Und wenn nun Ihr General Tate selbst – aus Gründen, die nur er kennt – den Angriff angeordnet hätte?« Es war ein aufs Geratewohl abgefeuerter Schuß, ein Versuch, das Ausmaß professioneller Wertschätzung auszuloten, die Ulanin seinem Gegenspieler jenseits des 34. Längengrades entgegenbrachte.
»Es ist nicht mein General Tate, Genosse Anatolij Igorewitsch. Aber man kann auch einen Gegner bewundern …«
»Ach ja. Der Ehrenkodex des Berufssoldaten. Man vergisst manchmal, dass es das noch gibt – sogar in der Roten Armee.«
Ulanin ignorierte den Sarkasmus. »Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Grund ein Amerikaner haben könnte, Befehl zu geben, die ›Allende‹ zu behindern …« – Rostow nahm zur Kenntnis, dass der General es ablehnte, das Wort ›angreifen‹ zu gebrauchen – »… und am allerwenigsten General Tate, der uns Russen sehr genau kennt.«
»War das Ganze also nur ein unglücklicher Zufall? Glauben Sie das?« Für einen Mann von Rostows Geisteshaltung wäre das zwar möglich, aber höchst unwahrscheinlich gewesen. Nur weniges geschah in der Welt, das nicht irgendwie geplant war.
»Es mag Routine gewesen sein. Auch wir stoppen Schiffe innerhalb der 15-Kilometer-Zone. Das ist im Abkommen enthalten.«
»Wir befanden uns in internationalen Gewässern, Genosse General.«
»Selbstverständlich, Genosse Anatolij Igorewitsch«, sagte Ulanin müde.
Rostow beschloß, das Thema zu wechseln. Das Gespräch war nützlich gewesen, weil es Ulanins Ansichten enthüllte. Der alte Herr war Tate zu freundlich gesinnt und hatte eine zu gute Meinung von den Amerikanern. In der Kommandostruktur des sowjetischen Kontingents würden Veränderungen vorzunehmen sein.
»Sobald Bogdanow diese ägyptischen Pfauen hinausgeworfen hat, möchte ich über die Sicherheitsvorkehrungen informiert werden, die für meine Fahrt in die Zentrale Zone getroffen wurden. Habe ich Jermolow richtig verstanden? Die Israelis wollen diese Bestimmung des Abkommens nicht außer Kraft setzen, und wir können nicht fliegen?«
»So ist es, Genosse Anatolij Igorewitsch.«
Rostow kaute eine Weile an seinen Lippen und überlegte die möglichen Folgen einer Verletzung dieser Bestimmung, die Flugzeuge aller Nationalitäten aus der entmilitarisierten Zone verbannte. Nein, das war keine gute Idee. Die Amerikaner würden den Flug als bewusste Vergeltung werten, und er würde alle psychologischen und moralischen Trümpfe aus der Hand geben, die er gegen Talcott Bailey, der sich über solche Dinge Sorgen machte, ausspielen konnte. Überdies würde er damit wahrscheinlich die Ägypter ermutigen, Erkundungsflüge in die entmilitarisierte Zone, möglicherweise sogar in den amerikanischen oder israelischen Sektor, zu unternehmen. Man konnte ihnen nicht vertrauen, und ihre Aggressivität ließ auch keine brauchbaren Resultate erhoffen. Also mußte er wohl das Auto benützen. Es würde eine lange und unbequeme Fahrt sein, aber es ging nicht anders: das sowjetische Verhalten mußte absolut korrekt sein.
»Führt dieser Dummkopf Nowotny mein Sicherheitsdetachement?« fragte er und starrte auf die offene Luke, durch die Jermolow mit dem schwankenden KGB-Mann verschwunden war.
»Ich werde es selbst übernehmen«, sagte Ulanin.
Einen Augenblick hatte Rostow Skrupel, diesen müden alten Mann einer so beschwerlichen Fahrt durch die Wüste auszusetzen, aber er unterdrückte sie. Es wäre schon gut, die Eskorte unter das persönliche Kommando des Befehlshabers der sowjetischen Zone zu stellen. Vielleicht würde sich eine Gelegenheit ergeben, Ulanin und Tate zusammen zu beobachten. Anatolij Rostow glaubte die Gabe zu besitzen, politische Unzuverlässigkeit ›riechen‹ zu können – oft noch bevor die Betreffenden davon wußten.
»Sehr gut, Genosse General«, sagte er. »Die Zusammenkunft ist für morgen 18 Uhr angesetzt – morgen ist der Jahrestag der ursprünglichen Unterzeichnung. Treffen Sie demgemäß Ihre Vorkehrungen.«
Bruder Anastasius vom Kloster der heiligen Katharina kletterte den steinigen Pfad zur Oase
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