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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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eine Maschine des US-Kontingents auf Sinai internationale Abkommen in eklatanter Weise verletzt hatte. Kornulow war angewiesen worden, mit dem Präsidenten persönlich zu sprechen, aber es zeigte sich, dass die Amerikaner nicht ganz so dumm waren – der Präsident, hieß es, sei abwesend und über das Wochenende nach Kalifornien geflogen. Der Botschafter würde mit dem Außenminister vorlieb nehmen müssen, und das brauchte seine Zeit. So viel Zeit, als ihnen nur möglich war, dachte Rostow. Das Treffen in der Zentralen Zone war für morgen abend angesetzt. In Washington würde es zehn Uhr morgens sein, und die Amerikaner hofften offensichtlich, die Diskussion über den Zwischenfall so lange hinauszuzögern, bis die Erneuerung des Abkommens unterzeichnet war. Rostow gestand sich ein, dass er in einer solchen Situation wahrscheinlich ebenso gehandelt hätte.
    Eine Stunde später stand die Ehrengarde immer noch auf dem Pier, und das Empfangskomitee befand sich bereits an Bord der ›Allende‹. Sowjetische und ägyptische Uniformen drängten sich jetzt in der Offiziersmesse, die von den Gerüchen von Kommandant Bogdanows überreichem Büfett, von Schweiß und dem parfümierten Haaröl der ägyptischen Offiziere erfüllt war. Der Ägypter, der die Regierung der VAR bei der Vertragsunterzeichnung vertreten sollte, war ein General. Er trug noch mehr Medaillen auf der Brust als seine sowjetischen Partner und klirrte bei jeder Bewegung. Ein Dolmetscher, der schlecht Russisch sprach, begleitete ihn überallhin.
    »General Suweif möchte einen Toast ausbringen«, flüsterte der bartlose Dolmetscher Rostow ins Ohr. »Auf die sowjetisch-ägyptische Freundschaft.«
    Rostow hob sein Glas, bis das arabische Kauderwelsch zu Ende war und trank. Bogdanows Champagner war ein Veuve Cliquot 1956 und ausgezeichnet, aber Wodka war Rostow lieber. Er rief einen Marineadjutanten zu sich und sagte im Dialekt zu ihm: »Halten Sie diesen Dummköpfen eine Rede.«
    Sofort begann der junge Offizier in fließendem Arabisch seiner Bewunderung für Alexandrien Ausdruck zu geben. Rostow löste sich aus dem Kreis der Ägypter und machte sich auf die Suche nach General Ulanin.
    Er fand ihn von den Offizieren seines Stabes umgeben, von denen nur einer – Nowotny, der KGB-Kommandeur- betrunken war. Kapitän Sacharow, der Marinekommandeur, stand etwas abseits und unterhielt sich mit Bogdanow. Luftwaffenoberst Jermolow sah gleichzeitig zornig und gelangweilt drein. Rostow nahm an, dass er immer noch über den Zwischenfall mit dem Shrike verärgert war und ihn als persönliche Beleidigung empfand.
    General Ulanin schien müde. Vielleicht, dachte Rostow, würde sein Gesundheitszustand einen brauchbaren Anlass geben, ihn als Befehlshaber des UdSSR-Kontingents auf Sinai abzulösen. Nach den in Moskau eingetroffenen Berichten des Sicherheitsdienstes war er dem amerikanischen Kommandeur zu freundlich gesinnt. Koexistenz war eine Sache, Zusammenarbeit und Freundschaft eine völlig andere.
    Rostow ließ seine Blicke durch den überfüllten, lärmigen Raum schweifen. »Juri«, sagte er dann, »wir müssen diese Farce beenden und uns an die Arbeit machen.«
    Der alte General hatte Kommandant Bogdanows üppiger Tafel nur mäßig zugesprochen, hielt aber ein Glas eisgekühlten Wodkas in der Hand. Rostow musterte ihn eingehend und stellte fest, dass er anscheinend überhaupt keinen Alkohol zu sich genommen hatte. Der Alte weiß, dass er senil wird, dachte Rostow, und versucht es zu verbergen.
    In der Mitte des Raumes stand, von ägyptischen Offizieren umringt, Nowotny. Sein Gesicht war gerötet und schweißbedeckt, die von Medaillen bedeckte Uniform wies Kaviarflecken auf. Rostow betrachtete ihn mit Abscheu. Nowotny äffte die Art und den Stil der alten Bolschewiken nach, vermochte aber nicht zu überzeugen. Dazu war er nicht alt genug, nicht skrupellos genug und, vor allem, nicht stark genug. Er war ein Ersatzrevolutionär, ein Bürokrat – eher ein Heinrich Himmler als ein Lawrentij Berija. Plötzlich war Rostow deprimiert. So also sahen die Nachkommen großer Revolutionäre aus: sie setzten ungesundes Fett an – im Bauch und im Kopf. Ob die Chinesen, jetzt, da die Maoistische Doktrin gegen innere Angriffe abgeschirmt war, die gleiche Entdeckung machten? Oder gelang es ihnen, ihre Revolution irgendwie weitergären zu lassen? Für Rostow und viele Mitglieder des Politbüro stellten die Chinesen immer noch eine tödliche Bedrohung dar. Immerhin hatte Moskau

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