34° Ost
ging er zum Wasser hinunter, wo die Kamele lagerten. Fünfundvierzig Tiere waren es jetzt, mehr als genug, um das ganze Kommando beritten zu machen.
Der Überfall auf die Hirten hatte seine leisen Zweifel zerstreut. Angeordnet hatte er ihn natürlich wegen der Kamele, aber noch wichtiger war es für ihn gewesen, die Männer beim Töten beobachten zu können. Wenn sie imstande waren, zwei Dutzend Beduinen – Araber wie sie selbst – zu ermorden, besaßen sie auch den Mut, die Amerikaner umzulegen.
Leila Jamil hatte ihn der Entschlossenheit der Truppe versichert, aber er mußte sich vergewissern. Terroristische Aktionen waren niemals unkompliziert. Männer wurden völlig unerwartet und aus den sonderbarsten Gründen störrisch und scheuten vor ihrer Aufgabe zurück. Man mußte ihrer absolut sicher sein. Das war er jetzt – so sicher man bei diesen Leuten sein konnte.
Er hatte auch wissen wollen, ob sie seinen Befehlen ohne Vermittlung ihrer eigenen Anführerin folgen würden. Leila Jamil hatte ihren Zweck erfüllt, indem sie die Männer zusammengeholt und ihm übergeben hatte, im entscheidenden Augenblick vielleicht entdecken zu müssen, dass die Männer nur Leila und nicht ihm zu gehorchen bereit waren – das wäre unmöglich gewesen. Feuergefechte waren auf diese Art nicht zu gewinnen, vor allem nicht solche, die zu schweren Verlusten unter den Angreifern führen mußten. Aber der Überfall auf die Schäfer war gut gelaufen. Enver Leč war jetzt ziemlich sicher, dass nichts schief gehen würde.
Er kehrte zu der Stelle am Bach zurück, wo er seinen Schlafsack ausgebreitet hatte. Nicht weit davon entfernt, unter einer Tamariske, lag Leila. Im Schein der Sterne sah er ihre Augen funkeln. Er trat näher und hockte sich nieder. »Morgen wirst du mir auf der Karte die Stelle zeigen«, sagte er, »wo wir den Amerikanern den Weg abschneiden können.«
»Bist du zufrieden?« fragte sie.
»Mit deinen Männern? Sie haben ihre Sache gut gemacht.«
»Sie haben nicht zum ersten Mal getötet. War es nötig, dir den Beweis dafür zu liefern?«
»Wir brauchten die Tiere.«
Sie drehte sich zur Seite und kehrte ihm den Rücken zu.
»Was hast du?« fragte er.
»Ich bin müde. Ich brauche Schlaf.«
Leč starrte auf die Rundung ihres Rückens. »Du brauchst auch noch was anderes.«
»Nicht von dir«, antwortete Leila. Sie bewegte sich, und er sah eine Messerklinge aufblitzen.
Mit stummem Lächeln entblößte er seine langen Zähne.
»Lass mich schlafen«, sagte sie. »Geh!«
»Gleich. Wusstest du, dass einer der Beduinen entkommen konnte?«
Sie drehte sich um und blickte ihn an. »Wir haben sie alle getötet.«
»Rifai sagt nein.«
»Das hat er dir gesagt?«
Er lächelte wieder. »Das hat er mir gesagt.«
»Er hätte ihn einfangen sollen.«
»Ganz meine Meinung. Aber es spielt keine Rolle.«
»Rifai hätte ihn einfangen sollen«, wiederholte sie.
»Er hat ihn im Dunkel verloren, sagt er.«
Leila machte eine müde Geste. »Wir sind leichtsinnig.«
»Das wird sich ändern. Ich werde dafür sorgen.«
»Du wirst dafür sorgen?«
»Ja.«
»Ich verstehe.«
Leč stand auf und streckte die Beine, ihm war nicht nach Schlafen zumute. Das Töten hatte ihn angeregt, und er wünschte, er könnte gleich jetzt in der Nacht die amerikanischen Stellungen angreifen – aber das war natürlich nur ein Wunschtraum. Um erfolgreich zu sein, mußte man nüchtern zu Werke gehen.
Während Leč seinen Träumen nachhing, wandte sich Leila ab und hüllte sich fester in ihre Dschellaba. Die Wärme des Tages hatte sich jetzt, nach Sonnenuntergang, zu schneidender Kälte gewandelt. Sie schloß die Augen und versuchte sich zu entspannen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Sie dachte über Leč nach. Seine Rohheit, seine plumpe Geschlechtlichkeit stießen sie ab. Den ganzen Tag über hatte er ihr seine Männlichkeit mit Worten und Gesten und kaum verhüllten Anspielungen aufgedrängt. Der Mann mochte ein ausgezeichneter Guerillakämpfer sein, aber in anderen Dingen war er ein Narr. Was glaubte er wohl, wie sie es geschafft hatte, so lange unter rauen und einsamen Männern zu leben? War er so stumpf, dass er ihre Andersartigkeit nicht erkannte?
11
Mitternacht war schon vorüber, als sich Colonel Seidel vom Vizepräsidenten in dessen Suite im Falascha-Hotel verabschiedete und in seine Baracke zurückkehrte.
Es war ein verwirrendes Gespräch gewesen. Trotz seines erfahrungsreichen Lebens als Jurist, Politiker und Militär wußte
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