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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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Jason Seidel nicht mit solchen Eiferern wie Bailey fertigzuwerden. Talcott Bailey war aufrichtig und wohlmeinend – und hatte eine völlig falsche Auffassung von den Grundsätzen und der Denkweise der amerikanischen Gesellschaft. Die Amerikaner waren nicht die störrischen Kinder, für die der Vizepräsident sie hielt. Aber sie waren auch nicht die manipulierbaren, selbstsüchtigen, gefühllosen, habgierigen Imperialisten, als die der junge Bronstein sie ansah. Nach Seidels Meinung konnte man sie nicht zu einem Lebensstil zwingen, wie er Bailey und seinem Parteiflügel vorschwebte. Daran war nach zwei Präsidentenwahlen nicht mehr zu zweifeln. Trotzdem weigerten sich Bailey und seine Anhänger, die Entscheidung des Volkes anzuerkennen. Und nicht nur das: Sie weigerten sich sogar, zuzugeben, dass eine solche Entscheidung gefallen war.
    Bailey hatte Seidel ein persönliches Schreiben des Präsidenten überbracht. Dass er auf Seidels Frage nicht mit Sicherheit sagen konnte, was der Brief enthielt, zeugte für seine absolute Integrität. Er war allerdings nicht überrascht gewesen, als ihm Seidel den Inhalt des Briefes mitteilte: Dass Seidel mit einer möglichen Berufung an den Obersten Bundesgerichtshof rechnen könne.
    Was der Vizepräsident von einer solchen Möglichkeit hielt, war nicht schwer zu erraten. Baileys lautstarke und straff organisierte Wählerschaft war aus der Friedensbewegung der sechziger Jahre hervorgegangen. Ein Mann von Jason Seidels erzkonservativen Grundsätzen würde kaum jemals ihre Billigung finden. Dennoch stand zu hoffen – und anscheinend war dies auch die Meinung des Präsidenten –, dass man ihre Opposition würde dämpfen können.
    Mit dem sicheren Instinkt des Politikers hatte Bailey sehr bald Seidels potentielle Schwächen herausgefunden. »Der Präsident hat seine Meinung, ich habe die meine. Aber es erscheint mir angebracht, Sie darauf hinzuweisen, dass es sehr stark von Ihrem Verhalten hier in der Zone abhängen wird, ob und wieweit ich meinen Einfluß für oder gegen Ihre Berufung geltend mache. Ich muß Ihnen gestehen, dass mein Gespräch mit unserem jungen Achilles einen eher unbefriedigenden Verlauf genommen hat. Ich hoffe, Sie denken da vernünftiger. Die Russen werden fast sicher verlangen, dass Trask abgelöst und vor ein Kriegsgericht gestellt wird. Ich würde es an ihrer Stelle nicht anders halten.«
    »General Tate würde Colonel Trask liebend gerne los sein, Mr. Vice President. Admiral Ainsworth hat den Colonel persönlich für diesen Einsatz ausgesucht, und er und General Tate vertreten sehr unterschiedliche Auffassungen über die Art, wie hier das Kommando geführt werden sollte. Aber der General ist nicht der Mann, der sich zwingen läßt, Trask abzulösen.«
    »General Tate täte gut daran, sich dafür zu interessieren, wie Zivilpersonen die Lage beurteilen«, erwiderte Talcott Bailey. »Trask hat einen Zwischenfall provoziert, der mir meine Aufgabe noch mehr erschwert. Offen gesprochen, Richter Seidel, das alles bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass die Vereinigten Staaten einen großen Fehler gemacht haben, als sie sich an dieser so genannten Friedensoperation beteiligten. Sie sehen selbst, wie gefährlich die Konsequenzen sein können. Nehmen Sie doch bloß an, der Wahnsinnige hätte das Feuer auf das sowjetische Schiff eröffnet! Nehmen Sie an, Rostow wäre ums Leben gekommen!«
    Jason Seidel gab zu, dass diese Möglichkeit erschreckend sei. »Aber diese Risiken sind normal bei so heiklen militärischen Kommandos wie diesem. Wir versuchen sie so klein als möglich zu halten, indem wir fähige, politisch aufgeschlossene Leute solche Kommandos führen lassen.«
    »Ich teile Ihr Vertrauen in den jungen Tate nicht«, entgegnete der Vizepräsident. »Schließlich ist er ja nur ein Soldat.«
    Und das, dachte Seidel, das war der springende Punkt, das unlösbare Dilemma. Nach Talcott Baileys Ansicht war ein Soldat nicht befähigt, andere als rein militärische Entscheidungen zu treffen. Trask hatte den Vorwand für einen offenen Konflikt zwischen Bailey und General Tate geliefert, aber wären es nicht Trask und die ›Allende‹ gewesen, dann irgend etwas anderes. Bailey würde schon einen Anlass gefunden haben, Tates Autorität in der Zone in Zweifel zu ziehen.
    »Ich will damit sagen«, hatte der Vizepräsident das Gespräch beendet, »dass ein Mann wie Sie, der darauf hofft, an den Obersten Bundesgerichtshof berufen zu werden, sich darüber im klaren sein

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