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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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Fallschirmspringerinfanterie in El Thamad. Die Israelis haben eine Staffel Luftlandetruppen an der Grenze ihres Sektors. Es ist nicht sehr sinnvoll, Truppen in diesem Teil der Halbinsel zu stationieren.«
    Rostow grunzte zustimmend und ließ seine Blicke noch einmal über die öde Landschaft zu beiden Seiten der Straße schweifen. Er verlagerte sein Gewicht auf dem Sitz, wandte sich ab, und seine für gewöhnlich in strenger Zucht gehaltenen Gedanken verloren sich in grauer Vorzeit. Denn obwohl hier außer Wüste und milchigem Himmel nicht viel zu sehen war, durchquerte er jetzt ein höchst interessantes Land, ein Palimpsest menschlicher Vergangenheit. Die Truppen Alexanders des Großen waren auf dem Weg nach Ägypten durch Sinai gezogen; gleiches hatten die römischen Legionen getan. Assyrer und Babylonier lenkten schon vor ihnen ihre Streitwagen durch diese Wüsten. Fünftausend Jahre hin und her marschierender Armeen hatten nur Spuren menschlicher Nichtigkeiten auf diesem Boden hinterlassen. Das zu fühlen blieb dem vorbehalten, der sensibel genug war, diese Spuren zu entdecken. Er fragte sich, ob die Furchen, die Russen und Amerikaner jetzt im Antlitz der Welt hinterließen, in weiteren fünftausend Jahren noch sichtbar sein würden. Es war dies ein äußerst unmarxistischer Gedanke, und Rostow registrierte ihn mit Unbehagen.
    Mit schweren Schritten kam Ulanin von der Spitze der Kolonne zurück und steckte den Kopf durch die offene Wagentür: »Sie haben da vorne einen Verwundeten aufgelesen, Genosse Rostow. Es scheint ein Mönch zu sein – ein Greis –, und es scheint ihm schlecht zu gehen.«
    »Ein Mönch? Hier?« Rostows skeptischer Ton schloß die öde, kahle Landschaft ein.
    »Er redet ziemlich ungereimtes Zeug zusammen, aber es sieht so aus, als wäre er einer der Brüder aus dem Katharinenkloster.«
    »Aber das ist doch sehr weit von hier«, meinte Sacharow.
    »Eine beträchtliche Entfernung«, stimmte Ulanin zu. »Aber es …«
    Rostow fiel ihm ins Wort. »Verwundet, sagen Sie?«
    »Seine Hand sieht schlimm aus. Eine Schussverletzung, würde ich sagen. Nowotny ist der gleichen Ansicht.«
    Rostow warf einen fragenden Blick auf Sacharow.
    »Ich habe noch nie gehört, dass Beduinen die Mönche angegriffen hätten. Aber es ist natürlich möglich«, sagte der Hauptmann.
    »Was sollen wir mit ihm machen, Genosse Rostow?« Ulanin schien besorgt.
    »Was sagt der Militärarzt?«
    »Er ist gerade dabei, ihm die Hand – oder was davon noch übrig ist – zu verbinden. Aber der Mann wird weitere Pflege brauchen.«
    »Kann er reden?«
    Ulanin zuckte die Achseln. »Er phantasiert. Auf griechisch. Von Sarazenen und von einem Beinhaus.«
    Wieder blickte Rostow den Hauptmann fragend an.
    »Das Beinhaus gehört sicher zum Katharinenkloster. Es liegt am Fuß des Heiligen Berges.«
    Der Gebrauch des Wortes ›heilig‹ im Zusammenhang mit dem Berg Sinai entging Rostow nicht. Es war bekannt, dass Sacharow an altmodischen krypto-christlichen Vorstellungen festhielt. Solche Neigungen fanden sich selbst nach fünfzig Jahren Marxismus immer noch unter den Nachkommen der alten Aristokratie.
    »Er ist nicht bei Verstand«, fügte Ulanin erklärend hinzu, »aber es ist nicht uninteressant, ihm zuzuhören, wenn er von einer ›Schlacht‹ spricht. Bei seinen Sarazenen könnte es sich um eine Räuberbande handeln.«
    Rostow dachte einen Augenblick nach. »Der Ägypter«, sagte er dann. »Wie heißt er doch gleich – Suweif – wo steckt er?«
    »An der Spitze des Konvois, wo er den Arzt in seiner Arbeit behindert und den alten Mann auf arabisch anschreit«, antwortete Ulanin.
    »Holen Sie ihn her«, befahl Rostow dem Adjutanten. Der junge Offizier trottete los.
    »Wen meint er mit Sarazenen?« fragte Rostow.
    »Für die Mönche im Katharinenkloster kann jeder bewaffnete Fremde ein Sarazene sein«, erwiderte der alte General.
    »Die letzten ›Sarazenen‹, die die Mönchsgemeinde vom Berg Sinai angegriffen haben, waren Harun al Raschids Männer«, wandte Sacharow ein.
    Ulanin zuckte die Achseln. »Eine rein semantische Frage, Nikolaj. Dieser alte Mann ist ein mazedonischer Bauer, der vermutlich seit fünfzig Jahren oder noch länger die Knochen von Heiligen in einem Kloster hütet. Aber wenn sich hier sogenannte ›Sarazenen‹ herumtreiben, sollten wir dazusehen, den Genossen Stellvertretenden Ministerpräsidenten schleunigst und ohne weitere Verzögerungen in die Zentrale Zone zu bringen.«
    »Ganz richtig«, stimmte ihm

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