35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Sehkreises befand, hielt er plötzlich bewegungslos still; seine Ohren begannen zu spielen, und der Schwanz richtete sich auf. Er sah mich erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge an und kam langsam näher. Endlich schien er überzeugt zu sein, daß ich es sei. Ein Zittern überlief seine Gestalt; er sog die Luft lang und tief ein, schnaubte einige Male, wieherte laut und kam dann auf mich zugesprungen. Noch stand ich still, ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Da stieß er mich mit dem Maul an, schob mich zur Seite und brach, als ich dennoch keinen Laut von mir gab, in ein kläglich stöhnendes Wiehern aus. Da legte ich ihm die Hand um den Hals und zog seinen Kopf an mein Gesicht. Ich nannte ihn bei seinem Kosenamen und klopfte ihm die glänzend glatte Haut. Die Folge war, daß er vor Freude rein außer Rand und Band geriet. Er rieb und stieß mit dem Maul von allen Seiten, stieg vorn empor, schlug hinten aus, rannte eine Strecke davon und dann rund um mich herum, kehrte zurück, um mich zu lecken, schlug die tollsten Kapriolen, kurz, er war vor Freude außer sich.
Ich untersuchte die Satteltaschen. Außer einigen Kleinigkeiten war nicht nur alles, was ich darin gehabt hatte, noch vorhanden, sondern der Sendador, der natürlich sich meinen Braunen angeeignet hatte, war so gütig gewesen, noch Verschiedenes hinzufügen, was ich jetzt als mein Eigentum ansehen konnte.
Inzwischen hatte der alte Desierto dem Kaziken sagen lassen, daß er mit seinen Leuten anmarschieren könne, paarweise hintereinander. Als der lange Zug sich uns näherte, wurde unser Kreis aufgelöst. Die Leute kamen herbei, um die eroberten Waffen und sonstigen Gegenstände aufzunehmen und den Gefangenen als Eskorte zu dienen; sie stellten sich zu beiden Seiten derselben auf.
Jetzt ging ich mit Pena und dem Alten nach dem Gehölz, um nachzuschauen, ob da nicht vielleicht irgend etwas Bemerkenswertes zu entdecken sei; wir suchten vergebens. Als wir dann, zurückkehrend, die lange Doppelreihe der Gefangenen zwischen den bewaffneten Tobas stehen und auf uns warten sahen, meinte der Desierto:
„Ich möchte wissen, was die Burschen denken. Ob sie sich wirklich einbilden, so wohlfeilen Kaufs davonzukommen!“
„Ich habe einige gekannt“, antwortete Pena. „Besonders hatte ich mir die beiden Wächter gemerkt, welche so prächtig schliefen, als ich unseren Freund hier befreite. Sie verlassen sich darauf, nicht erkannt zu werden, da dem Auge eines Weißen alle Roten ähnlich erscheinen.“
„Ob Bekannte unter ihnen sind, weiß ich noch nicht“, sagte ich. „Ich hatte mit meinem Pferd zu tun und habe noch keinen der Mbocovis angesehen. Wollen wir nicht den Spaß machen, dem Kaziken ein Pferd anzubieten?“
„Schenken?“ fragte Pena erstaunt.
„Was fällt Ihnen ein! Schenken! Nein, er soll stolz zu Roß mit uns nach dem Dorf reiten.“
„Das fehlte noch! Der Kerl mag laufen, so wie wir tagelang gelaufen sind, als wir um unsere Pferde gekommen waren.“
„Es soll nicht aus übermäßiger Freundlichkeit, sondern aus Klugheit geschehen. Gewähren wir ihm die Auszeichnung, im Sattel sitzen zu dürfen, so wird er desto sicherer werden und um so blinder in die Falle gehen. Gegen einen Kriegsgefangenen, den man reiten läßt, hat man doch nichts Schlimmes vor!“
„Das ist richtig, und Sie haben recht. Lassen wir ihn also reiten. Mag der Triumphzug beginnen. Tausendmal größer aber wäre meine Freude, wenn wir den Sendador auch mit erwischt hätten.“
„Hoffentlich bekommen wir ihn noch und zwar hier in der Nähe.“
„Das bilden Sie sich nicht ein! Glauben Sie denn wirklich, daß er hier verweilt, bis wir kommen und ihn wegnehmen wie eine reife Birne vom Baum?“
„Das nicht: aber ich glaube, daß er hier bleibt, bis er genau weiß, welches Ende sein Raubzug gefunden hat. Dieses Ende ist erst an dem jetzigen Augenblick zu ersehen, und so bin ich vollständig überzeugt, daß er noch jetzt hier irgendwo steckt und uns beobachtet.“
„So müssen wir schleunigst nach ihm suchen, denn er wird sich nun höchstwahrscheinlich von dannen machen.“
„Das hat keine große Eile. Der Tag ist noch lang, und ich denke, der Sendador bleibt noch in der Nähe, um auszuspionieren, was mit den Gefangenen geschehen wird.“
„So reiten wir mit in das Dorf?“
„Ja. Wir haben unseren Beitrag zum Gelingen geleistet und werden nun auch am Triumph teilnehmen.“
Ich bestieg den Braunen, welcher vor Freude darüber, mich wieder tragen zu
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