35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
still. Sie wußten nicht, ob wir in freundlicher oder feindlicher Absicht kamen. Als wir uns nahe genug befanden, sah ich, daß jeder von ihnen ein Messer in der Hand hatte. Ihre Mienen waren entschlossen. Man sah es den Leuten an, daß sie bereit waren, sich nötigenfalls in einen Kampf mit uns einzulassen.
„Halt!“ rief uns einer in spanischer Sprache entgegen. „Kommt nicht näher heran! Wir müssen wissen, was ihr wollt. Wer seid ihr?“
Ich wollte antworten, aber vor mir ertönte des Fraters Stimme:
„Seit wann mißtrauen Sie mir, Señor Harrico? Glauben Sie, in mir einen Feind sehen zu müssen?“
Der Bruder kannte zufälligerweise den Mann, welcher der bereits erwähnte Vertreter eines Bankiers in Buenos Aires war. Auch dieser sah jetzt, wen er vor sich hatte. Er antwortete:
„Bendito sea Dios! Der Bruder Jaguar! Wir sind gerettet! Señores, diese Herren können nur in freundlicher Absicht zu uns kommen!“
Es wurde unserer Landung nichts in den Weg gelegt. Wir legten an und zogen das Floß so weit an das Ufer, daß es nicht fortgeschwemmt werden konnte. Die Leute reichten uns mit Freudenrufen ihre Hände entgegen, und dann wurden wir durch den Bruder und Señor Harrico einander in aller Eile vorgestellt.
Es genügt, nur zu erwähnen, daß sich zwei Nordamerikaner unter ihnen befanden, welche natürlich von Kapitän Turnerstick mit lebhaftester Freude begrüßt wurden.
„Aber Señor“, fragte der Bruder seinen Bekannten aus Buenos Aires, „wie sind Sie nur auf diese Insel gekommen?“
„Um Nuestro Señor Jesu-Cristo de la floresta virgen zu sehen.“
„Das ist ja nicht hier!“
„Leider ja. Wir wurden betrogen. Dieser Sendador ist ein ungeheurer Schurke. Und wir haben ihm ein solches Vertrauen geschenkt.“
„Er verdient es keinesfalls, wie ich beweisen kann!“
„Wir bedürfen Ihres Beweises gar nicht, denn er selbst hat es uns bewiesen. Aber was tun Sie in dieser Gegend?“
„Wir suchen Sie, um Sie zu retten.“
„Wo erfuhren Sie und durch wen, daß wir uns in Gefahr befanden?“
Bruder Hilario machte in aller Kürze die nötigen Mitteilungen. Die Männer und Väter gaben ihren Schrecken durch Ausrufe des Entsetzens zu erkennen. Der Bruder tröstete sie:
„Sie können ruhig sein, Señores. Bis jetzt ist den Ihrigen nichts geschehen, und wir werden dafür sorgen, daß ihnen auch überhaupt nichts geschieht.“
„Aber der Überfall unserer Frauen!“
„Soll erst heute um Mitternacht vor sich gehen. Bis dahin aber haben wir vollständig Zeit, ihn zu vereiteln.“
„So sei dem Himmel und Ihnen Dank. Wir werden ja Zeit finden, uns näher auszusprechen, aber sagen Sie zunächst, wo sich der Sendador befindet.“
„Bei der Karawane.“
„Also bei der alten Niederlassung?“
„Nein. Sie sind fort nach eben dem heiligen Bild, dessen Namen Sie vorhin nannten.“
„Ohne uns? – So befinden sich die Hilflosen in seiner Hand?“
„Einstweilen, ja. Aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ihnen nichts geschehen wird. Jetzt ist es für uns die Hauptsache, zu erfahren, womit es ihm gelungen ist, Sie hierher zu locken.“
„Durch eine Lüge.“
„Natürlich. Aber durch welche?“
„Er sagte, daß wir hier das Kreuz unseres Señor Jesu-Cristo finden würden.“
„Und aus diesem Grund folgten Sie ihm? Welche Unvorsichtigkeit!“
„Er beschrieb uns dieses Kreuz in einer Weise, welche alle unsere Wißbegierde rege machte. Er sagte, ein Inka sei einst auf seinem Kriegszug hierhergekommen. Er sei ein Christ gewesen und hier von den Indianern überfallen worden. Er rettete sich mit einem Häuflein seiner Getreuen nach der Insel, wo sich die Tapfern bis auf den letzten Mann verteidigten. Wie sie fielen, so liegen sie noch heute, so neben und aneinander gelegt, daß sie ein Kreuz bilden, eben das Kreuz unsers Señor Jesu-Cristo de la floresta virgen.“
„Wunderbar, das zu glauben!“
„Warum sollten wir es bezweifeln?“
„Weil die Indianer Heiden waren. Sie hätten die christlichen Leichen nicht zu der heiligen Figur zusammengelegt.“
„O, der Inka starb zuletzt und bekehrte sie vor seinem Tod.“
„Ah so! Während er sich gegen sie verteidigte, fand er Zeit, sie zu bekehren?“
„Ja. Und die Bekehrung war eine so tiefe und wunderbare, daß die Heiden selbst die Schätze, die goldenen Rüstungen, welche die Inkas trugen, nicht anzurühren wagten.“
„Eine solche Bekehrung wäre freilich anzustaunen.“
„Der Sendador erzählte es, und wir glaubten es.
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