35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
Mann, der einem andern einen vor Gott geltenden Schwur abnehmen kann. Der alte Jäger und Goldsucher hat also auf seinem Sterbebett das Geheimnis verraten können, ohne seine Seele zu gefährden.“
„Er hat gesagt, ich habe einen Padre ermordet?“
„Ja. Ermordet und beraubt.“
„Welche Lüge! Halten Sie sich übrigens für den Mann, welcher mich zu richten hat?“
„Ja. Wir alle sind nach dem Brauch der Pampa berechtigt, über Sie zu Gericht zu sitzen. Und wenn Sie uns wie bisher mit Hohn und Spott bedienen, so dürfen Sie auf keine Nachsicht rechnen.“
„Ich verlange sie auch nicht; aber Gerechtigkeit will ich haben. Und zu dieser Gerechtigkeit gehört, daß man die Sache einem ordentlichen Richter übergibt!“
Da trat einer von den Männern, welche er nach der Insel gelockt hatte, an ihn heran, versetzte ihm einen Fußtritt und herrschte ihm zu:
„Schweig, Schurke! Dir soll das Recht der Pampa werden, nämlich eine Kugel in den Leib oder ein Strick um den Hals! Vielleicht machen wir dir die Abfahrt in die Hölle noch etwas schwerer. Wollen nur erst sehen, wie es mit unseren Frauen steht, nach denen wir noch gar nicht gesehen haben. Wehe dir, wenn du einer von ihnen ein Haar gekrümmt hast! Du wirst mit glühenden Messern zerschnitten!“
„Ja, wollen vor allen Dingen nach unseren Frauen und Kindern sehen“, stimmte ein anderer bei. „Sterben muß dieser Mensch, aber auf sein Verhalten zu ihnen soll es ankommen, ob er leicht oder schwer zum Satan fährt. Wer steigt mit hinab?“
„Ich – ich – ich!“ riefen alle außer mir.
Keiner schien bleiben zu wollen. Jeder wollte sehen, wie es mit den Frauen stand.
„Halt!“ bat ich. „Alle können unmöglich fort. Wir müssen doch den Keller und auch den Sendador bewachen. Dazu gehören mehrere Personen.“
Man gab das zu. Den Familienvätern war nicht zuzumuten, dazubleiben. Der Bruder ging mit ihnen, um nötigenfalls seines Trösteramtes zu walten. Der Kapitän Turnerstick wollte aus Neugierde fort und veranlaßte den Steuermann, mit ihm zu gehen. Pena und Gomarra waren ebenso neugierig, und so blieb nur ich mit den Yerbateros übrig.
Wir waren Männer genug, den Eingang zu bewachen. Übrigens war es uns allen lieb, daß die andern sich entfernten, weil sie den Tod des Sendadors wollten; wir aber wünschten, daß er leben bleibe, um uns seine Geheimnisse anzuvertrauen. Gegen uns hatte er ja nicht gesündigt, und so konnten wir ihn weder anklagen noch gar richten. So war auch Monteso gesinnt, denn als die andern fort waren, sagte er in leisem Ton, so daß der Sendador es nicht verstehen konnte: „Gut, daß sie fort sind! Was denken Sie, Señor? Soll er getötet werden?“
„Was mich betrifft, so bin ich freilich dagegen.“
„Ich auch und meine Kameraden ebenso. Denken Sie an die Kipus und Pläne!“
„Es wird uns nur nicht möglich sein, seinen Tod zu verhindern.“
„Das befürchte ich auch. Gomez haben sie begnadigt, weil sie ihn als Indianer nicht für zurechnungsfähig, wenigstens nicht für so sehr schuldig halten wie diesen, den sie sicherlich nicht laufen lassen werden.“
„Ich bin überzeugt, daß unsere Bitten nichts helfen werden, aber es gibt noch einen Ausweg – die List.“
„Ah! Wie aber meinen Sie das?“
„Wir lassen ihn laufen. Wir lockern ihm jetzt den Riemen, welcher seine Hände zusammenhält. Nachher soll er hinunter nach den Wagen gebracht werden. Er muß gehen, folglich wird man ihm die Beinfesseln abnehmen. Da kann er unterwegs einen Sprung zur Seite tun. Da es dunkel ist, dürfte eine Verfolgung vergeblich sein.“
„Gut. Aber was dann?“
„Dann erwartet er uns irgendwo. Hoffentlich hält er Wort.“
„Jedenfalls, da er sich darüber freuen muß, endlich einen Mann zu sehen, welcher seine Pläne lesen und vielleicht gar die Kipus entziffern kann. Soll ich mit ihm sprechen?“
„Ja.“
Während unseres leisen Gesprächs hatte der Sendador still dagelegen und kein Auge von uns verwendet. Aber es schien mir doch, als ob seine Aufmerksamkeit nicht allein auf uns gerichtet sei. Er hielt den Kopf zur Seite, als ob er nach dem Keller lausche. Da dies in seiner Lage sehr natürlich war, weil seine Verbündeten sich dort befanden, so fiel mir dieses Lauschen gar nicht weiter auf.
„Señor Sabuco“, sagte der Yerbatero, „es schmerzt mich, in Ihnen einen solchen Verbrecher entdeckt zu haben. Es wird mir angst und bange um Ihr Seelenheil; darum bitte ich Sie, in sich zu gehen und der Wahrheit
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