35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
leise:
„Wohin?“
„Gerade nach der Richtung, wohin Sie jetzt den Rücken wenden.“
„Wo sind die Pferde?“
„Ich weiß es nicht.“
„Jammerschade! Es wird ein entsetzliches Hallo geben. Es ist finster, und wir rennen uns die Köpfe an den Bäumen wund. Ich will einmal sehen, ob die Wächter schlafen.“
Ich räusperte mich; ich hob die gefesselten Füße empor – keiner der beiden Indianer bewegte sich. Sie schliefen wirklich. Da fühlte ich die Bewegung des Messers zwischen meinen Händen. Sobald ich sie frei hatte, griff ich nach dem meinigen. Ich zerschnitt den Fußriemen, steckte das Messer und die Revolver in den Gürtel, hing die Gewehre langsam über, zog den Hut fest an, daß das Gesträuch ihn mir nicht nehmen konnte, und stand leise und langsam auf.
Nun war ich gerettet, außer es traf mich ein vergifteter Pfeil.
Zoll um Zoll verließ ich meinen Platz. Pena ergriff meine Hand und zog mich fort. Das tat er so unvorsichtig, daß die Büsche raschelten. Davon erwachten die Wächter; aber wir befanden uns schon außerhalb ihres Gesichtskreises. Zwei Schreie erschallten.
„Kommen Sie! Schnell, schnell! Ich weiß den Weg. Halten Sie den Hut fest!“ Bei diesen Worten riß Pena mich mit sich fort. Ja, er wußte den Weg, denn wir rannten an keinen Baum. Der Weg war überhaupt kurz. Schon nach kaum mehr als zwanzig Schritten hatten wir die Bäume hinter uns und befanden uns auf der freien Pampa, während hinter uns im Wald die Indianer brüllten, daß mir die Ohren gellten.
„Nun fort! Immer geradeaus!“ sagte Pena. „Sie sollen uns gewiß nicht ergreifen.“
„Aber die Pferde, die Pferde!“
„Lassen Sie die um Gottes willen, sonst werden Sie wieder gefangen. Ich weiß nicht, wo sie sind, und zum Suchen ist keine Zeit.“
Er hatte recht. Wir rannten im völligem Galopp über die Pampa hin, wohl eine Viertelstunde lang; dann mäßigten wir unsere Eile zu einem Traben, bis wir so außer Atem waren, daß wir im Schritt gehen mußten.
„Vor allen Dingen, wohin führen Sie mich?“ fragte ich Pena.
„Nach dem Unglücksplatz natürlich.“
„Kennen Sie den Weg?“
„Ja; ich bin ja gekommen, immer hinter Ihnen her. Alle Wetter, war das ein unglückseliger Abend!“
„Nur infolge Ihrer und Gomarras Dummheit. Doch das ist vorüber. Sie haben es wieder gutgemacht.“
„Ja, das habe ich! Ich lief dem Sendador nach, bekam ihn aber nicht zu sehen. Ich schlich mich tollkühn nach dem Wald, in welchem die Roten sich aber schon nicht mehr befanden. Da hörte ich den Lärm des Überfalls und eilte zurück. Ich kam gerade recht, um zu sehen, daß Sie niedergerissen wurden. Natürlich blieb ich da im Verborgenen. Sie wurden fortgetragen, bis in die Nähe des Waldes; ich suchte nach Ihnen, konnte Sie aber nicht finden. Darum kehrte ich heimlich bis hart an das Lager zurück. Dort wurde lange Zeit Beratung gehalten. Dann entfernte sich der Sendador mit zwanzig Männern und den Pferden, und ich folgte ihnen, denn ich dachte, daß es Ihnen gelte. Ich hatte mich nicht geirrt, denn ich lag ziemlich nah auf der Erde und sah, daß man Sie aufs Pferd setzte und dann fortritt. Ich folgte. Die Indianer mußten langsam reiten, da die Hälfte von ihnen zum Gehen gezwungen war; so konnte ich ihnen gut folgen. Ich hielt mich so weit hinter ihnen, daß ich sie wohl als hohe Reiter, sie mich aber nicht als niedrigen Fußgänger sehen konnten. So ging es fort, bis sie in ihr Versteck einbogen und ich warten mußte, bis es ganz dunkel war und sie schliefen.“
„Und über das Schicksal unserer Gefährten wissen Sie nichts?“
„Kein Wort. Es wäre mir unmöglich gewesen, sie alle zu befreien, und keiner von ihnen hätte dann das Geschick gehabt, Sie mit zu befreien. Darum wollte ich erst Sie los haben und dann mit Ihnen versuchen, die andern zu finden.“
„Der Sendador sagte, sie seien getötet worden. Ich hoffe aber, daß das eine Unwahrheit ist. Verfolgen wird er uns beide nicht. Er hatte mir die Augen verbunden und glaubt also, daß ich nicht weiß, wo ich mich befinde. Darum wird er den Morgen abwarten, um meine Spur zu suchen. Bis dahin haben wir eine weite Strecke hinter uns. Eilen wir möglichst, wenn Sie nicht gar zu ermüdet sind!“ Das war alles, was wir sprachen. Wir schritten aus, als ob wir dem Tod entrinnen wollten; zuweilen wurde ein Trab oder sogar ein Galopp gemacht. Wir waren zwei Stunden unterwegs, so begann es zu regnen, und zwar so, wie es in jenen Gegenden immer regnet, nämlich
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