36 - Das Vermächtnis des Inka
Fußspitzen nach der Stelle hin, an welcher der Chirurg so tief schlief, daß man seinen Atemzügen den Ausdruck ‚schnarchen‘ hätte geben mögen. Er betrachtete jede einzelne Person genau, lauschte eine Weile und griff, als niemand sich regte, nach den Blutegelflaschen; es waren ihrer drei. Er öffnete sie, indem er den Baumwollverschluß losband, und versuchte sodann, die Decke, in welche Don Parmesan sich gewickelt hatte, unten auseinanderzuschlagen. Es gelang. Der Chirurg trug, wie schon früher erwähnt, lange Stiefel, deren Schäfte er heute nicht ganz emporgezogen hatte; sie reichten ihm nur bis an die Knie und bildeten dort trichterähnliche Öffnungen, in welche El Picaro den Inhalt zweier Flaschen schüttete; dann schlug er die Decke wieder zusammen. Mit der dritten Flasche kroch er zu Fritze Kiesewetter hin. Auch dieser hatte sich in seinen Poncho gewickelt, den El Picaro an einer Stelle auseinanderzog, um dort die Flasche zu entleeren. Hierauf band er die drei Flaschen wieder zu, genau so, wie sie vorher verschlossen gewesen waren, und stellte sie an ihren Platz zurück. Dann kroch er leise davon, schlangengleich, wie ein Indianer. Erst als er aus dem Kreis, welchen der Schein der Feuer bildete, gekommen war, erhob er sich und ging nun weiter bis dorthin, wo er den anderen Wachtposten wußte.
„Nun, ist's gelungen?“ fragte dieser.
„Ja, vollständig“, kicherte der lustige Bursche.
„Prächtig!“ lachte auch der andere. „Was wird er sagen, wenn er merkt, daß er die Sanguijuelas auf dem Leib anstatt in den Flaschen hat!“
„Es gibt einen Hauptspaß, zumal ich die Flaschen wieder zugebunden habe. Dann kann er es sich nicht erklären, wie sie herausgekommen sind.“
„Hat er sie alle?“
„Alle nicht, obgleich ich die Flaschen leer gemacht habe. Es war keine leichte Arbeit, diese klebrigen Dinger, nachdem ich das Wasser abgegossen hatte, herauszuschütten. Ein anderer hat auch welche.“
„Ein anderer? Wer?“
„Federico mit dem unaussprechlichen deutschen Namen, der Diener des Gelehrten.“
„Dieser? Das hättest du nicht tun sollen. Er ist ein guter, ein braver Bursche.“
„Nicht nur ein guter und braver, sondern auch ein lustiger Bursche. Ich beabsichtigte es eigentlich nicht; aber als ich ihn so schön nebenan liegen sah, da zuckte es mir so lange in den Fingern, bis auch er sein Teil erhielt. Wenn er später erfährt, wer es gewesen ist, wird er es mir nicht übelnehmen.“
„Wie lange währt es, bis die Würmer angekrochen sind?“
„Wer kann das sagen! Ich bin kein Arzt und habe noch keinen Blutegel beobachtet. Vielleicht eine Stunde. Dann ist es Tag, und es wird so hell, daß wir die Bescherung sehen können.“
„Aber wir sollen doch noch vor Tag wecken!“
„Das tun wir eben nicht. Ich will mich lieber vom Jaguar ein wenig schelten lassen, als auf so ein Vergnügen verzichten.“
Die beiden flüsterten und lachten noch eine Weile über diesen Gegenstand und gingen dann auseinander. Sie hatten die letzte Wache übernommen und waren also diejenigen, welche zu wecken hatten. Die Zeit verging, und der Tag begann zu grauen. Sie weckten noch nicht, sondern begaben sich in die Nähe der Schläfer, um, hinter zwei Bäumen versteckt, die beiden Opfer ihres Scherzes zu beobachten. Es wurde so hell, daß sie dieselben genau sehen konnten.
Es handelte sich ihrer Ansicht nach nur um einen Spaß, und keiner von ihnen war, was man mit dem Worte schadenfroh bezeichnet. Dennoch mußten sie über das, was sie sahen, lachen, natürlich nicht laut, sondern in sich hinein. Die Blutegel hatten den Weg durch die Kleider gefunden und sich festgesaugt. Die von ihnen Überfallenen fühlten zwar den Angriff, der gegen verschiedene ihrer Körperteile gerichtet war, waren aber vom Schlaf noch so fest umfangen, daß sie nicht erwachten. Sie drehten sich von rechts nach links, von links nach rechts; sie griffen mit den Händen nach ihren Armen und Beinen; sie kratzten sich an allen Ecken und Enden und murmelten dabei leise Worte, welche man nicht verstehen konnte. Ihre Unruhe wuchs von Minute zu Minute, so daß El Picaro nun zu seinem Kameraden sagte: „Wir dürfen nicht länger warten und müssen wecken, sonst erwachen sie von selbst.“
Sie riefen die Schläfer wach, und diese sprangen auf. Als der Vater Jaguar sah, daß es schon heller Tag war, wollte er ihnen Vorwürfe machen, wurde aber von einem lauten Ausruf des kleinen Gelehrten unterbrochen, welcher, seinen Diener erstaunt
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