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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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glücklicherweise der einzige Schaden, den die Aria angerichtet hatte, denn kein Nacken war steif geworden.
    Doktor Morgenstern hatte von dieser Erscheinung noch nichts gehört und erkundigte sich darum bei dem Vater Jaguar nach ihr. Dieser antwortete achselzuckend: „Ich kann Ihnen leider mit keiner Erklärung dienen. Die Sache ist mir selbst auch unbegreiflich. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß die Aria in dieser Jahreszeit oft plötzlichen und starken Regen mit sich bringt.“
    Er blickte bei diesen Worten gegen den Himmel, welcher vollständig hell und wolkenlos war und nicht im mindesten so aussah, als ob er heute noch Nässe senden wolle. Kein Lüftchen regte sich, und die Oberfläche des Sees lag so ruhig und unbewegt wie festes Kristall vor den Augen da.
    Jetzt nun wurden alle Vorbereitungen getroffen, welche nötig waren, wenn der Abend und die Nacht ohne Feuer zugebracht werden sollten. Man aß sich tüchtig satt und streckte sich dann im Gras aus, um zu ruhen. Andere saßen in Gruppen beisammen, um sich zu unterhalten, wobei El Picaro wie gewöhnlich die Hauptrolle spielte.
    Abseits von allen anderen saß Anton Engelhardt mit dem jungen Inka. Beide kannten sich nur seit wenigen Tagen, hatten einander aber doch schon herzlich liebgewonnen. Der äußere Grund lag wohl in dem Umstand, daß Anton dem Inka so freundlich entgegengekommen war und ihm sein Pferd angeboten hatte; die innere, eigentliche Ursache aber bestand jedenfalls in der Verschiedenheit ihrer seelischen Eigenschaften, welche einander ergänzten.
    Anton war warmblütig, leicht erregt, rasch und aufrichtig; auf seinem Gesicht lag immerwährend der Ausdruck herzlicher Zufriedenheit. Das Wesen des Peruaners aber war still, ernst, bedächtig, zurückhaltend, und die Schwermut, welche sich seinen jugendlich schönen Zügen aufgeprägt hatte, wich keinen Augenblick aus denselben. So waren sie also vollständig verschieden veranlagt, und die Verschiedenheit zieht bekanntlich an.
    Sie waren seit dem ersten Abend stets nebeneinander geritten und hatten sich auch an den Lagerplätzen zusammengehalten. Da war natürlich viel gesprochen worden; aber die Kosten der Unterhaltung hatte zumeist Anton getragen. Er hatte von allem, was er besaß, kannte und wußte, erzählt und nach und nach sein ganzes Herz ausgeschüttet. Von Haukaropora aber hatte er noch nichts erfahren. Dieser hörte schweigend zu, ließ nur hier oder da eine kurze Frage, eine einsilbige Antwort hören; aber wer ihn beobachtete, der sah, daß aus seinem dunklen, tiefgründigen Auge nicht selten ein freundlicher, ja warmer Blick zu seinem jungen deutschen Gefährten hinüberflog.
    Wovon sie jetzt wieder miteinander sprachen, das war eigentlich das immer wiederkehrende Hauptthema aller ihrer Gespräche gewesen, nämlich der Vater Jaguar. Anton erblickte in diesem Mann einen Helden ohnegleichen und wünschte sehnlichst, ihm einst ähnlich werden zu können. Auch Hauka sprach mit der größten Hochachtung, ja Verehrung von ihm, konnte aber leider die Neugierde Antons, welcher gern etwas aus dem früheren Leben des riesenhaften Mannes erfahren hätte, nicht befriedigen.
    „Aber du hast ihn ja viel eher gekannt“, sagte der deutsche Knabe, „und mußt also von ihm erzählen können!“
    Sie nannten sich nämlich seit der Krokodilquelle du.
    „Ich kann nichts sagen“, antwortete der Inka. „Wenn er kam, hat er mit dem Vater gesprochen und nicht mit mir. Und wenn die Alten und Erfahrenen sprechen, so müssen die Jungen, Unerfahrenen von fern stehen. So ist es bei uns Gebot.“
    „Bei euch? Zu welchem Volk oder Stamm gehörst du denn eigentlich?“
    „Zu keinem.“
    „Aber du mußt doch einer Nation angehören!“
    „Mein Stamm ist untergegangen. Wir leben mit einigen armen Familien hoch oben in den Bergen, wo der Kondor schreit.“
    „Da wächst kein Baum, kein Strauch. Wie könnt ihr leben?“
    „Wir trinken Wasser und essen das Fleisch der wilden Tiere, welche wir mit Lebensgefahr erlegen.“
    „So seid ihr Helden, mit denen ich wohl tauschen möchte. Erzähl mir von eurem Leben, euren Taten!“
    „Von dem Leben und den Taten der Meinigen?“ Er legte die Hand an die Stirn und blickte düster vor sich nieder. Dann antwortete er weiter: „Vielleicht, doch nein, ganz gewiß erzähle ich dir einmal davon; aber nicht heute, nicht jetzt. Du kommst ja mit in unsere Berge. Dann wirst du nicht nur hören, sondern auch sehen.“
    Er stand auf und entfernte sich, um unter den Bäumen

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