36 - Das Vermächtnis des Inka
hätte, schon aus Gewohnheit, sicher nicht versäumt, diese Vorsichtsmaßregel zu treffen.
Leider wäre dieselbe keineswegs grund- oder zwecklos gewesen, denn während die sechs Männer, welche sich in der Höhle befanden, an keine Störung, am allerwenigsten aber an eine feindliche dachten, und drei von ihnen von den Taten des Vater Jaguar sprachen, waren ihnen gerade die grimmigsten Feinde dieses berühmten Mannes so nahe, daß sie dieselben beinahe mit den Händen hätten greifen können.
Der Gambusino hatte sich mit Antonio Perillo, wie bereits erwähnt, nach dem Guanacotal gewendet, um einige der dort jagenden Mojosindianer für seinen Ritt nach der Mordschlucht zu engagieren. Er hatte zwar Mundvorrat in Salta mitgenommen, aber keineswegs so viel, wie unter Umständen gebraucht werden konnte. Es war seine feste Absicht, so lange in der Mordschlucht zu bleiben, bis das Versteck gefunden sei. Dies konnte aber mehrere Tage, ja wochenlang dauern, und in diesem Fall mußte der mitgebrachte Proviant ausgehen. Es waren dann Leute nötig, welche jagen mußten, um Fleisch herbeizuschaffen, und dazu sollten die Mojos dienen. Außerdem war, um nicht von zufällig Vorüberkommenden überrascht zu werden, es nötig, zwei Wächter aufzustellen, einen ober- und einen unterhalb der Mordschlucht, eine Aufgabe, deren sich die Mojos auch zu unterziehen hatten.
Selbstverständlich aber mußte es diesen Indianern verboten sein, selbst in die Schlucht zu kommen. Mit welchen Gründen sollte ihnen dies plausibel gemacht werden? Wie konnte man ihnen überhaupt die so geheimnisvolle und vielleicht lange währende Anwesenheit zweier Menschen in der Mordschlucht erklären? Der Gambusino sann darüber nach und sagte dann zu Perillo: „Diese Halunken sind zu scharfsinnig, als daß wir ihnen mit gewöhnlichen Finten kommen dürfen. Wir müssen nach einem Grund suchen, welcher mit der Religion zusammenhängt; das ist die einzige Art und Weise, sie sicher zu mystifizieren. Fällt dir nichts ein?“
„Warum nicht? Was sagst du zu einem Gelübde?“
„Wahrhaftig! Da triffst du gleich das allerbeste. Wir haben in großer Todesnot das Gelübde getan, etwas Gott Wohlgefälliges, worauf wir schon noch kommen werden, in der Mordschlucht vorzunehmen, wobei wir ungestört und einsam bleiben müssen. Die Roten sind alle außerordentlich abergläubisch; sie werden so voller Scheu und Ehrfurcht sein, daß sie sicherlich nicht auf den Gedanken kommen, uns etwa zu belauschen.“
„Aber wenn wir dann finden, was wir suchen, so können wir es ihnen doch nicht verbergen, denn wer weiß, was und wieviel wir zu schleppen haben. Da werden sie erkennen, daß wir sie getäuscht haben, und uns aus Rache alles abnehmen!“
„Schwachkopf! Habe ich dir nicht schon da unten am Sumpf der Knochen gesagt, wie wir sie unschädlich machen werden? Sind wir glücklich, so müssen sie alle sterben. Das wird uns nicht viel Arbeit machen, da es vollständig genügt, wenn wir ihrer nur sechs oder acht engagieren.“
Die beiden gewissenlosen Menschen waren von den Mojos freundlich aufgenommen worden und hatten dem Häuptling derselben ihren Wunsch mitgeteilt. Er war nicht nur auf denselben eingegangen, sondern sogar bereit gewesen, sich selbst an dem Ritt nach der Mordschlucht zu beteiligen. Das war ihnen freilich höchst unangenehm; da aber eine Zurückweisung für ihn eine große Beleidigung gewesen wäre und er dann gewiß auch seinen Leuten die Teilnahme versagt hätte, so waren sie wohl oder übel gezwungen, darauf einzugehen.
Sie brachen dann mit ihm und noch sieben Mojos vom Guanacotal nach der Mordschlucht auf, welche so fern lag, daß sie in einem Tag nicht erreicht werden konnte. Gegen Abend des ersten Tages waren sie bis an den Saumpfad gekommen, welcher hinauf nach der Salina del Condor führte. Sie folgten demselben, bis es dunkel war, und dann wollte der Gambusino an der ersten besten Stelle Lager machen; da aber meinte das ‚Spitze Messer‘, der Häuptling: „Der scharfe Nordwind wird sich bald erheben, und dann ist es gut, wenn man sich an einem Ort befindet, wo er einen nicht treffen kann.“
„Weißt du denn einen solchen?“
„Ja. Es ist eine Höhle, welche gar nicht weit von hier liegt, eine Höhle mit zwei Eingängen.“
„So führe uns hin!“
Sie ritten also weiter, das ‚Spitze Messer‘ voran und die anderen hinter ihm drein. Nach einiger Zeit blieb er plötzlich halten, flüsterte den anderen zu, ja kein Geräusch zu machen, und
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