36 - Das Vermächtnis des Inka
zwischen Fluß und Wald, Fluvius und Silva, wie der Lateiner sagt.“
„Aber wie kommt es, daß Sie dieselbe Richtung genommen haben, welche auch ich einschlug?“
„Ich wollte Sie treffen.“
„Aber ich hatte Ihnen gesagt, daß ich Sie nicht gebrauchen kann!“
„Señor, es ist jeder Mensch zu gebrauchen!“
„Ja, aber im Gran Chaco nicht. Sie bringen nicht nur mich in Verlegenheit, sondern sind auch selbst in eine große Gefahr geraten.“
„Meinen Sie? Die Señores, welche uns gefangennahmen, befanden sich in einem Irrtum, den sie jedenfalls sehr bald eingesehen hätten.“
„Glauben Sie das ja nicht! Ihr Leben schwebte in Gefahr.“
„Mein Leben, lateinisch Vita genannt? Das glaube ich kaum.“
„Weil Sie ein lieber, guter, harmloser Silberkarpfen sind, welcher keine Ahnung davon hat, was für Hechte es im Teich gibt. Sie passen überall mehr und besser hin als in den Gran Chaco.“
„Und ich bin vom Gegenteil überzeugt, da Sie selbst mir angedeutet haben, daß hier die Reste vorweltlicher Tiere zu finden sind.“
„Ich bin auch jetzt noch überzeugt, daß dies der Fall ist; aber wenn Sie diese längst zu ihren Vätern versammelten Kreaturen in den Pulverkammern unserer Parteiführer suchen, so können Sie sehr leicht einmal ein wenig in die Luft gesprengt werden. Wie Sie gefangengenommen worden sind, das habe ich von dem braven Don Parmesan gehört, dem Sie Ihre Rettung zu verdanken haben. Ich bitte Sie, mir zu erzählen, was sich dann weiter ereignet hat.“
„Ereignet? Gar nicht viel, Señor Hammer. Man schüttete das Loch, in welchem meine Gigantochelonia gesteckt hatte, wieder zu, nachdem man den Inhalt herausgenommen hatte, um ihn zu verteilen. Dann band man uns auf die Pferde und ritt mit uns davon. Ich gab herzliche gute Worte, man möge doch das Rückenschild der Gigantochelonia mitnehmen, was mir aber rundweg abgeschlagen wurde. Ich glaube sogar, wenn ich mich recht besinne, auf einigen Gesichtern eine Art von Veränderung bemerkt zu haben, welche den Menschenkenner beinahe zu der leisen Überzeugung bringen könnte, daß es sich dabei um den Anflug einer Spur jenes Muskelspiels gehandelt habe, welches einzutreten pflegt, wenn der Mensch eine heimliche Veranlassung findet, seinen Zügen die heitere Erlaubnis eines sanften, kindlichen Lächelns zu erteilen.“
„Das verstehe ich kaum. Wollen Sie damit sagen, daß Sie ausgelacht worden sind?“
„Ausgelacht?“ fuhr der Kleine erstaunt auf. „Ich deutete ein leises Lächeln an und Sie sprechen da gleich von einer vollendeten Auslachung, lateinisch Irrisio genannt? Señor, das könnte mich kränken, wenn ich nicht bei Ihnen so gute paläontologische Kenntnisse entdeckt hätte, daß ich überzeugt bin, Sie halten es für effektiv unmöglich, daß der Entdecker einer Gigantochelonia ausgelacht werden kann.“
„Sie glauben also noch immer, daß es sich um eine Schildkröte gehandelt hat?“
„Ich bin überzeugt davon, und zwar war es eine von wirklich riesigen Dimensionen. Was aber das fernere Erlebnis betrifft, so ritten wir durch den Wald und mittels einer seichten Furt über den Fluß wieder in den Wald, wo wir bei anderen Indianern anhielten. Ich und mein Fritze erhielten jeder ein Stück Fleisch, welches wir essen durften. Dann band man uns an die Bäume, bis Sie kamen und uns heimholten. Das ist alles, was ich erzählen kann, eine höchst einfache und prosaische Geschichte.“
„Das nennen Sie einfach und prosaisch?“ lachte der Vater Jaguar nun wider Willen auf.
„Natürlich! Es war keine Spur von Poesie dabei. Ich wollte dem Gespräch wiederholt eine anheimelndere Wendung geben und begann von dem Diluvium, von dem Höhlenbären, vom Mammut und anderen sympathischen Themata zu sprechen, fand aber kein Ohr dafür.“
„Das glaube ich!“
„Es fiel sogar, wenn ich mich nicht geirrt habe, einmal eine Bemerkung, welche, wenn auch in entfernter Weise, darauf schließen ließ, daß es hierzulande eine Redeweise gibt, welche den Anflug einer Ähnlichkeit mit einem deutschen Wort hat, bei welchem das Verbum halten statt in Beziehung zu dem Hauptwort Os in Verbindung mit dem Substantiv Rictus gebracht wird.“
„Das heißt, man hat Sie gebeten, nicht nur den Mund, sondern sogar das Maul zu halten?“
„Nun, gebeten eigentlich nicht. Es wurde das vielmehr in einer Weise gesagt, welche auf etwas mehr Schärfe und Energie schließen ließ. Doch will ich gern dem Betreffenden zu Ehren konstatieren, daß er vielleicht
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