3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Marie hält kurz inne, schaut auf, aber mich nicht an, denkt kurz nach und antwortet kurz und knapp in seiner typischen Art und mit seinem wunderbaren Akzent:
“Isch brauche Gewisch t!”
Harald, Claudia und Zoe waren tolle Weggefährten, aber Jean M arie und ich sind schon fast echte Freunde geworden. Eben wie im echten Leben: Je länger man einen Weggefährten an seiner Seite hat, je mehr Höhen und Tiefen man zusammen durchlebt, desto intensiver ist letztendlich die Freundschaft.
Weil der Weg wie das Leben selbst ist, nur in komprimierter und sehr intensiver Form und man, wenn man mit jemandem zusammen läuft, Tag und Nacht zusammen verbringt, trinkt, isst, redet, lacht, weint, singt, stöhnt, schwitzt, leidet und einander beisteht, schweißt das zwei Menschen auch schneller zusammen als im echten Leben.
Fazit des Tages: Was sich liebt, dass neckt sich!
Freitag, 25. Juli, 74. Tag:
Uhart Mixe - Saint Jean Pied de Port, 27 km
Wir sind echt aufgeregt! Heute brechen wir also wirklich zu unserer letzten Etappe auf, die komplett auf französischem Boden verläuft und die letzte Etappe ist vor der letzten ganz großen Hürde, die uns noch von Spanien trennt: den Pyrenäen! Franziska geht alleine, Jean Marie mit Natalie, und ich laufe als Letzter los.
Ich treffe meine Wandergefährten aber nicht auf dem Weg, was mich sehr wundert. Warum werde ich später erfahren. Es wird ein netter, aber nicht wirklich spektakulärer Tag, abgesehen vom Pyrenäen-Panorama, das immer schöner wird und langsam erahnen lässt, was da auf uns zukommt…! Das immer mehr an die Schweiz erinnernde Auf und Ab der letzten Tage und auch heute gibt uns schon mal einen kleinen Vorgeschmack.
Wieder läuft mir ein Hund zu, der wunderschöne eisblaue Augen hat , und den ich, wie schon Jacques, auch am liebsten mitnehmen würde. Immer noch alleine mache ich meine letzte Pause vor St. Jean Pied de Port auf dem Marktplatz von St. Jean Le Vieux, von wo aus übrigens der eigentliche Weg über die Pyrenäen führte, weil man ab St. Jean Pied de Port erst seit dem 13. Jahrhundert pilgert.
Weil Jean Marie und ich uns schon seit Tagen auf St. Jean gefreut und uns fest vorgenommen hatten, dieses für uns wirklich wichtige und große Etappenziel gemeinsam zu erreichen, bin ich etwas enttäuscht und verwundert, als nach einer langen Pause Jean Marie immer noch nicht auftaucht. Also schultere ich irgendwann meinen Rucksack, um alleine zum letzten Teilstück aufzubrechen.
Als ich mich noch frage, wie es sein kann, dass wir uns nicht begegnet sind - Natalie läuft nicht sehr schnell und macht auch gerne viele Pausen -, höre ich aus der Richtung, aus der ich gekommen bin, einen Schrei, der mir sehr vertraut ist, und mein Affe kommt!
Er berichtet mir, dass er und Natalie sich gut und gerne zwei Stunden verlaufen haben, und ich gebe ihm Recht, dass die Beschilderung des Weges heute sehr schlecht ist und einem das sehr leicht passieren kann. Weil er auch gerne zusammen mit mir St. Jean erreichen wollte, hat Jean Marie dann doch irgendwann das Tempo angezogen, um mich noch einzuholen, und Natalie zurückgelassen.
Froh darüber , doch nicht alleine dieses wichtige Etappenziel zu erreichen, setzen wir unseren Weg fort. Endlich, nach 700 bzw. 1.500 Kilometern und knapp zwei Wochen Marsch ohne Pausentag treffen wir abends am Fuße der Pyrenäen ein und betreten Saint Jean Pied de Port durch das Jakobustor! Vor einigen Tagen schon haben wir, wie von den Wanderführern empfohlen, die Herberge
L’Esprit du Chemin reserviert, weil in St. Jean natürlich viel los ist und wir ohne Reservierung zu viert wohl Probleme bekommen hätten. Zu Recht wird die Herberge als eine der schönsten in St. Jean angepriesen. Sie wird von einem sehr netten niederländischen Paar geführt, womit ich bekanntlich schon gute Erfahrungen gemacht habe, und wir fühlen uns auf Anhieb wohl.
Z entral und direkt gegenüber dem Pilgerbüro gelegen, ist sie sehr liebevoll eingerichtet und hat einen schönen Garten. Wir haben für zwei Nächte gebucht, die erste mit Halbpension, und es gibt ein tolles Abendessen mit viel Wein in einer großen, netten und andächtigen Runde mit etwa 18 Pilgern aus aller Welt. Im Garten der Herberge steht ein Entfernungsanzeiger und als ich darauf schwarz auf weiß vor Augen habe, dass Konstanz 1.500 Kilometer weit entfernt ist, brauche ich nochmal einen Moment, um zu
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