37 - Satan und Ischariot I
sollte. Er stand zur Stunde der Befreiung an meiner Seite und tötete zwei ihrer Krieger, als sie mich wieder ergreifen wollten. Er geleitete mich bis an die Stelle, an welcher ich mich jetzt befinde. Ich habe ihn gesehen mutig im Kampf, schlau und besonnen im Verfolgen der Feinde. Mancher alte Krieger hätte das nicht vermocht, was er getan hat. Darum bin ich er, und er ist ich, und Winnetou, der Häuptling der Apachen, hält treu zu ihm und mir. Wer ihn beleidigt, beleidigt uns und mag jetzt hervortreten. Oder kommt auch alle her! Wir sind bereit, für ihn mit euch zu kämpfen.“
Da konnte sich der alte Häuptling doch nicht mehr halten. Er stieß einen unartikulierten Ruf des Entzückens aus, riß sein Messer aus dem Gürtel und schrie:
„Yuma Shetar heißt der tapfere Krieger, dessen Vater ich bin; hört ihr es? Yuma Shetar! Old Shatterhand, das große Bleichgesicht, hat ihm diesen Namen gegeben, und Winnetou, der berühmteste Apache, hat ihn seinen Freund und Bruder genannt. Wer ist unter euch, der etwas gegen diesen Namen hat? Wer will noch darüber zürnen, daß Old Shatterhand die Pfeife des Friedens mit Yuma Shetar trank? Wer? Er komme her zu mir und ziehe sein Messer! Ich werde ihm die Seele aus dem Leib schneiden und sein stinkendes Fleisch den Geiern zum Fraß geben!“
Einen Augenblick lang herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer „Yuma Shetar!“ und „Yuma Shetar, Yuma Shetar!“ brüllten alle nach, gar nicht an die Yumas denken, welche sich in der Nähe befanden. Sie kamen herbei, um dem neuen und jüngsten Genossen die Hände zu schütteln. Ihre vorherige Mißbilligung hatte sich in das Gegenteil verkehrt. Der alte Häuptling nahm meine beiden Hände und wollte eine Danksagung beginnen, wurde aber von Winnetou bedeutet:
„Mein Bruder mag später sagen, was sein Herz empfindet; jetzt ist nicht mehr Zeit dazu. Der Tag hat sich geneigt, und es will finster werden. Dort steht der Späher, welcher mit uns reden will. Es wird Zeit sein, an die Beobachtung der Feinde zu gehen.“
Der Posten stak allerdings nicht mehr im Gebüsch, sondern stand vor demselben. Daraus war zu schließen, daß er nichts mehr zu beobachten hatte, doch wagte er infolge des scharfen Verweises, welchen er vorhin erhalten hatte, es nicht, eigenmächtig herbeizukommen. Erst als Winnetou ihm einen zustimmenden Wink gab, kam er näher und meldete:
„Die Yumas kamen, sind aber wieder in der Richtung zurückgeritten, in welcher sie gekommen waren.“
„Wie weit kamen sie heran?“
„Es kamen zwei als Kundschafter heran und blieben an der Stelle, wo wir Old Shatterhand trafen, halten. Sie warteten, bis alle Yumas kamen, welche lange Zeit die Stelle untersuchten. Die Feinde ritten nur noch eine kleine Strecke weiter, um unsere Fährte zu betrachten; dann kehrten sie langsam wieder um.“
Winnetou nickte ihm zu und wandte sich dann an den Häuptling:
„Der ‚Starke Büffel‘ hört, daß ich recht gehabt habe. Die Yumas sind umgekehrt, doch nur, um uns irrezuführen. Die Krieger der Mimbrenjos mögen hier bleiben, bis ich mit Old Shatterhand wiederkehre.“
Wir beide stiegen auf und ritten fort, eben als es so dunkel geworden war, daß man die Hufstapfen der Pferde nur noch schwer zu erkennen vermochte. Also in die dunkle Nacht hinein, um einen Feind zu beobachten, den wir nicht sehen konnten und von dem wir nur wußten oder vielmehr vermuteten, daß er sich nicht mehr in der Richtung befand, nach welcher er sich entfernt hatte.
Wie oft hatte ich mit Winnetou solche Ritte ins scheinbar Blaue unternommen, und stets waren wir durch den geradezu bewundernswerten Instinkt des Apachen an das richtige Ziel geführt worden! Ich freute mich darauf, heute seinen oft fast verblüffenden Scharfsinn wieder einmal nach so langer Zeit bewundern zu können.
Die Yumas waren nach Osten zurückgeritten; es fiel uns aber nicht ein, ihnen in dieser Richtung zu folgen, denn ich war ebenso überzeugt wie Winnetou, daß sie sehr bald wieder umgekehrt seien. Man denke sich einen Wald von ungefähr zwei Reitstunden Länge und etwa einer halben Stunde Breite. Der Wald zog sich ziemlich genau von Ost nach West. An seiner Südseite, nahe am östlichen Ende, lag die Buschecke, hinter welcher wir die Mimbrenjos zurückgelassen hatten. Es stand also zu erwarten, daß die Yumas, aus der östlichen in die westliche Richtung zurückgekehrt, den Wald an einer langen südlichen Seite entlanggehen würden, um uns von Westen her in den Rücken zu
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