38 - Satan und Ischariot II
verstanden, aber doch bemerkt hatten, daß der Inhalt desselben für Jonathan Melton kein angenehmer sein könne. Es kostete nur einige Bemerkungen, so wurde er ergriffen, niedergeworfen und gebunden. Ich nahm das Portefeuille; was er sonst bei sich hatte, wurde ihm gelassen. Dann schaffte man ihn zu den gefangenen Uled Ayun, mit denen er streng bewacht wurde. Nun konnte er sich nicht mehr darüber im Zweifel befinden, daß er von mir durchschaut worden war.
Wir hatten, wie schon längst erwähnt, drei Schwadronen Kavallerie. An der Spitze einer jeden standen ein Kolarasi (Rittmeister), ein Ober- und ein Unterleutnant. Mit diesen neun Offizieren hielt ich einen kurzen Kriegsrat, nachdem ich ihnen erzählt hatte, wie die Sachen standen.
Die erste Schwadron sollte sich mit ihrem Kolarasi vor den Eingang des Engpasses legen. Mit der zweiten wollte ich selbst den Berg umreiten, um den hintern Ausgang zu besetzen. Die dritte sollte hinauf auf den Berg, um die beiden Felsenränder des Passes zu belegen und nötigenfalls von da oben herabzuschießen. Diese Schwadron mußte sich also teilen; die eine Hälfte unter dem Kolarasi sollte die rechte und die andere unter dem Oberleutnant die linke Seite des Berges nehmen. Da hinten, wo ich Posto fassen wollte, gab es, wir früher erwähnt, die Pferde, und dort lagerten auch die zu der gefangenen Schwadron gehörigen Soldaten, welche von Uled Ayar-Kriegern bewacht wurden. Wenn es mir gleich anfangs gelang, die Gefangenen zu befreien, bekamen wir hundert Mann mehr für uns.
„Und wann soll der Angriff erfolgen?“ fragte einer der Offiziere.
„Einen eigentlichen Angriff wird es nicht geben. Die erste Schwadron hat nichts zu tun, als die Feinde zurückzuweisen, wenn dieselben die Schlucht verlassen wollen; die zweite Schwadron hat die gleiche Aufgabe, falls die Ayar hinten ausbrechen wollen. Nur werde ich mit einem Teil derselben vorher über die Wächter herfallen, um eure gefangenen Kameraden zu befreien. Das wird wohl nicht ohne Geschrei und einige Schüsse abgehen, ist aber noch kein Kampf zu nennen, und so dürfen sich die anderen Abteilungen nicht etwa dadurch zu einem voreiligen Handeln verleiten lassen. Wir wollen die Feinde nicht töten, sondern gefangennehmen. Hütet euch also vor Blutvergießen! Je mehr Uled Ayar fallen, desto weniger gibt es dann, von denen der Pascha die Kopfsteuer bezahlt bekommt.“
„Aber der Augenblick, an welchem du über die Wächter unserer gefangenen Kameraden herfallen willst, muß doch bestimmt werden, damit wir wissen, woran wir sind!“
„Das ist richtig. Ich werde den Augenblick des Fagr, des Morgengebetes, dazu benutzen.“
„Das geht nicht.“
„Warum?“
„Weil wir doch auch beten müssen, und da haben wir keine Zeit, auf den Feind zu achten. Du bist ein Christ und meinst vielleicht, daß wir nicht zu beten brauchen.“
„Das meine ich nicht; ihr sollt beten und dennoch gerüstet sein. Ihr vergeßt, oder vielleicht wißt ihr es nicht, daß die Uled Ayar ihr Morgengebet nach den Regeln der Hanofisekte verrichten. Ihr betet, wenn der erste schwache Lichtschimmer im Osten erscheint. Bei den Hanofi aber beginnt das Fagr ein wenig später, nämlich wenn el Isfirar, der ‚gelbe Schimmer‘, zu sehen ist. Ihr seid also, wenn sie beginnen, schon fertig, und eure Morgenandacht wird euch nicht verhindern, eure Pflicht zu tun. Sobald die Ayar zu beten beginnen, werde ich schnell vorrücken, um die Gefangenen zu befreien. Sie werden überhaupt durch unser Erscheinen so überrascht sein, daß sie, wenigstens für den ersten Augenblick, die Gegenwehr vergessen; dann aber ist die gefangene Schwadron schon frei und wir können den Feind ruhig an uns kommen lassen.“
Es waren noch einige weitere Bemerkungen nötig; dann brachen wir auf, um nach dem Engpaß zu reiten. Nach Verlauf von anderthalber Stunde waren wir in seiner Nähe angekommen, und wir trennten uns. Die erste Schwadron ritt nach dem Eingang, nachdem sie einige Kundschafter zu Fuß vorausgesandt hatte. Die zweite ritt rechts und links von dem Engpaß den Berg hinan, und ich ritt mit der dritten um den letzteren herum, bis wir seine hintere, die südliche Seite erreichten, wo der Paß wieder ins Freie trat. Dort ließ ich halten und ging, um zu rekognoszieren.
Die Uled Ayars waren von einer geradezu unbegreiflichen Unvorsichtigkeit. Sie hatten auch hier keine Posten, und ich drang wohl zweihundert Schritte in die Schlucht ein, ohne auf irgend jemanden zu stoßen.
Bis
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